Das Menetekel der Politischen Ökonomie
Franz Rieder • In der Sackgasse der Politischen Ökonomie, sanfte Enteignung, erzwungener Zugang (Last Update: 01.07.2019)
Schauen wir auf das Jahr 1997, das Jahr der sog. Asienkrise. Sie zeigte beispielhaft deutlich, dass Leistungsbilanzdefizite in den Schwellen- und Entwicklungsländern, die sich über einen längeren Zeitraum akkumuliert haben, stets zu heftigen Währungskrisen führten und die dann in der Folge mit den notwendigen Wechselkursanpassungen in anhaltende Finanzkrisen mit schweren Rezessionen und drastischen Arbeitsplatzverlusten mündeten. Das war fast wie ein ehernes Gesetz, dass Staaten, die ihre Kapitalimporte aus privaten Quellen überstrapazierten am Ende auch mit der Auflage von High Yields einem Absturz ihrer Währungen und Kapitalmärkte nicht verhindern konnten.
Für die USA gilt dazu im Vergleich, dass sie sich in eigener Währung verschulden können, da der Dollar als Weltreservewährung anerkannt ist, viele Rohstoffe und auch viele Zwischenerzeugnisse in Dollar gehandelt werden, teils müssen, was den US-Dollar sehr liquide macht und damit fast ausfallsicher; aber eben nur fast. Denn auch für den Dollar als Währung gilt, dass, wie gesagt, auch für seine Stabilität ein anhaltend stetiger Zufluss von Fremdkapital notwendig ist. Wenn die weltweit operierenden, großen Finanzinvestoren sowie die Notenbanken der Überschussländer, die ja zugleich meist zu den größten Kapitalexporteure zählen, entscheiden würden, Finanzanlagen zulasten des US-Dollars und zugunsten anderer wichtiger Währungen wie etwa der des Euro oder vielleicht des CNY umzuschichten, könnten auch die USA spürbare Erschütterungen der Wechselkurse ereilen.
Wir haben an anderen Stellen den Zusammenhang von lang- und kurzfristigen Zinsen bereits diskutiert. Im Idealfall finanziert eine Volkswirtschaft mit den Renditen aus kurzfristig finanzierten Investitionen in Staat und Realwirtschaft ihre langfristigen Verpflichtungen bzw. Verbindlichkeiten. Dabei ist zu beachten, dass bei den langfristigen Verbindlichkeiten wie etwa Gehälter von Staatsbeamten, Renten etc. eine regelmäßige Umwandlung der Renditen in Barauszahlungen möglich sein muss, da Gehälter von Beamten und Renten etc. ja kurzfristig und kontinuierlich anfallen. Dies im Hinterkopf wirft ein neues, stärkeres Licht auf die Art und Weise, wie die Marktwirtschaft als Ganze und die einzelnen Märkte im Besonderen die sich ausprägenden Ungleichgewichten korrigieren können. Und diese Korrekturmechanismen sind durch die geld- und wirtschaftspolitischen Interventionen der Politischen Ökonomie teilweise hochgradig unsicher, instabil geworden und haben teilweise bereits negative Vorzeichen bekommen.
Bislang galt als unumstößlich eine der fundamentalen Regeln der Marktwirtschaft: Wer sich Geld leiht, muss es vollständig zurückzahlen, inklusive Zins- und Zinseszinsen. Heute sehen wir einen Markt mit einem Negativ-Zins, der immer mehr Investoren dazu bringt, Geld dafür zu bezahlen, damit sie Staaten und Unternehmen Geld leihen dürfen; welch eine Umformung! Es gibt daher immer mehr Staaten, die sogar dafür bezahlt werden, wenn sie sich verschulden, allen voran Deutschland. Zählen wir Anfang 2019 die Anleihen zusammen, die eine negative Rendite abwerfen, für deren Kauf man als Investor am Ende also draufzahlt, dann summieren die sich auf beachtliche 11 Billionen US-Dollar. Und die Tendenz ist steigend.
Was kaum jemand bislang bedacht, nicht einmal bemerkt zu haben scheint, ist, dass der Eurozone hier eine gewisse Vorreiterrolle zukommt. Knapp drei Viertel aller laufenden Staatsanleihen werfen negative Erträge ab und dabei sind nicht nur deutsche und niederländische Anleihen. Selbst ehemalige und aktuelle Krisenländer wie Spanien oder Portugal müssen auf Bonds mit bis zu dreijähriger Laufzeit keine Zinsen zahlen und hätte Matteo Salvini sich in seiner Unbedachtheit nicht zu Äußerungen zu einem möglichen Bruch Italiens mit den Defizitregeln der Europäischen Union hinreißen lassen, hätten wohl auch die italienischen Bonds kaum zu den aktuellen Anleiherenditen gefunden. Was Salvini mit seiner Äußerung angestellt hat, wie ein kleines Kind aus Wut und Trotz, ließ die Investoren sofort die Finger von den italienischen Bonds zurückziehen und zu zehnjährigen deutschen Bundesanleihen greifen, deren Rendite bei aktuell minus 0,11 Prozent und somit auf dem tiefsten Stand seit 2016 liegt.
Die Freude des deutschen wie auch der anderen begüterten Finanzminister lässt sich kaum überhören, weniger gesagt wird aber zu den erheblichen Risiken, die sich hinter diesem Geldsegen bei Staatsverschuldungen verbergen. So gibt es nominal vor Abzug der Inflation für Anleger in Bonds keine risikominimierten Zinserträge mehr; völlig risikolos wie damals vor der griechischen Staatspleite können Bonds heute nicht mehr sein. Real ist die Situation nicht besser, sie ist erheblich schlechter. In dieser Zeit der Niedrigzinsphase sind die Zinsausstattungen auf den Kapitalmärkten so schlecht, dass selbst die Erträge langlaufender Unternehmensanleihen von der Inflation aufgezehrt werden.
Wenn man also Investoren- und Anlegerverhalten
beobachtet, stellt man fest, dass beide vermehrt in riskantere
Allokationen wechseln, zu Aktien, Immobilien und Hochzinsanleihen
greifen, die auf den Märkten immer neue und höhere
Bewertungen erreichen. Und da es so „billig“ ist, sich zu
verschulden oder auch auf Kredit eigene Unternehmensanleihen
aufzukaufen, steigt nicht nur die Verschuldung der Staaten, sondern
auch die Verschuldung der Unternehmen sichtbar an. Das bedeutet,
dass, geht dieser Prozess so weiter, hält also die
Niedrigzinsphase weiter an, steigen auch die Risken auf den Finanz-
und Kapitalmärkten.
So warnt denn auch Tilman Galler,
Executive Director bei J.P. Morgen im Wallstreet Online: „Es
besteht die Gefahr, dass sich massive Unwuchten aufbauen. Die
Zentralbanken sind schon jetzt kaum mehr in der Lage, eine Zinswende
einzuläuten, ohne eine schwere deflationäre Kreditkrise
auszulösen.“ Besonders kritisch, führt Galler
weiter aus, werde es zudem, wenn sich das Zinsumfeld plötzlich
stark ändern sollte: „Dann wird niemand mehr bereit
sein, negativ rentierende Anleihen zu halten. Das kann zu sehr
starken Umschichtungen führen“.
Allein das Verhalten der wichtigsten, wirtschaftspolitischen Akteure, die Regierungen und Zentralbanken der USA, Japans, Chinas sowie der Ölförderländer und der Eurozone, orientiert sich mittlerweile allein bzw. vorrangig an nationalen Interessen. Keine dieser Regierungen nimmt mehr in der Durchführung ihrer politisch-ökonomischen Interessen eine Verantwortung für eine konsistente, wachstums- und entwicklungsorientierte globale Währungs- und Finanzordnung wahr, und die bestehenden, supranationalen Institutionen, die dies übernehmen könnten, sind entweder nur rudimentär vorhanden bzw. zu schwach, um aus der Sicht der sich verändernden Weltwirtschaft diese Aufgaben zu übernehmen, oder sind der Politik einzelner Länder schlichtweg untergeordnet.
Kapitalmarkt-Experten müssen sich mehr und mehr daran gewöhnen, dass steigende Zinsen bei den Notenbanken nicht vorgesehen sind und deshalb die Anleihenrenditen auch weiterhin eher fallen als steigen dürften. März 2019 hat die Fed ihren angekündigten Zinserhöhungszyklus auf massivstes Bedrängen von Donald T. ausgesetzt und so zog denn auch EZB-Chef Mario Draghi fröhlich gleich. Auch 2020 wird es keine Zinserhöhung in Frankfurt geben.
Fed und EZB haben also durch die Blume gesprochen einer Zinserhöhung abgesagt. Das bewegt die Märkte. Die Nachfrage nach Bonds ist weiterhin sehr hoch. Und mit der Nervosität der Anleger aufgrund instabiler Märkte findet immer mehr Geld deutsche Staatsanleihen, zumal viele der wichtigen, institutionellen Anleger, wie etwa Versicherungen und Pensionskassen, strikten, auf Werterhalt ausgelegte Anlagerichtlinien folgen müssen. D. h., sie dürfen schlichtweg keine Aktien oder gar High Yields, Hochzinsanleihen, über einen niedrigen Sockel hinaus in ihre Depots aufnehmen und sind daher gezwungen, negativ rentierende Staatsanleihen zu kaufen. Auch wenn dies gelegentlich anders kolportiert wird, ein Wechsel auf US-Staatsbonds ist für Euro-Anleger im Moment noch keine echte Option. Zwar werfen Treasuries derzeit rund 2,5 Prozent Zinsen ab. Doch die mit dem Kauf notwendig verbundene Risikoabsicherung gegen Schwankungen des US-Dollarkurses bringt die Absicherungskosten auf ein Niveau, welches die derzeitigen Renditevorteile von US-Papieren vollständig aufheben.
Es kommt deshalb auf den Kapitalmärkten außerhalb der Bondsmärkte zu deutlichen Risikoverschiebungen nach oben. Immer mehr Geld findet Wege in illiquidere Anlagesegmente wie etwa Kredit- oder Infrastrukturfonds und mit jeder neuen Unsicherheit für die Konjunktur der Eurozone, bleibt die Gefahr der Niedrigzinspolitik bestehen und können weitere Anleihen unter die Null-Zins-Linie geraten. Hinzu kommt, dass ein negativer Zinssatz vor allem bei risikoarmen Anleihen zu fallenden Renditen und so zu steigenden Kursen im Markt führt und ein weiterer Wechsel zu Immobilen und Aktien immer wahrscheinlicher werden lässt. Aktienpriese und Immobilienpreise steigen steil an und diese Anstiege haben Dimensionen von Preisblasen im Markt erreicht, die auch platzen können.
Gepusht von Trumps Harakiri-Fiskalpolitik haben die Abermilliarden von zusätzlicher Liquidität den Markt der Unternehmensanleihen völlig durcheinandergebracht. Anleihen mit einem Volumen von mehr als 750 Milliarden Dollar werfen im Unternehmens-Segment negative Renditen ab. Das verleitet Unternehmensführungen zu vermehrter Risikobereitschaft. Das Geld ist also da, aber wohin damit? Wie immer in einer Spätphase eines Konjunkturzyklus‘ fließen solche Gelder nicht mehr in Investitionen, sondern werden für riskante Übernahmen verwendet, wie wir sie vor allem in der fast wahnsinnig gewordenen IT- und AI-Branche tagtäglich erleben, oder es wird für Aktienrückkaufprogramme ausgegeben, auch das haben wir 2018 erlebt und wird auch in 2019 noch anhalten.
Man erkennt, dass Marktbewegungen allein noch keine empirische Basis für Urteile und Einschätzungen abgeben. Denn gleichwohl sich die Märkte für Unternehmens- und Staatsanleihen dem Volumen nach deutlich verändert haben, haben sich zugleich aber auch die Risikobereitschaft erhöht und die Kreditqualität verschlechtert. In conclusio bedeutet das, Staat und Unternehmen nutzen die Niedrigzinsphase, um sich langfristiger zu verschulden. Die Investoren, die sich in neuen Staats- und Unternehmensanleihen engagieren, müssen mit deutlich gesunkenen Zinskupons leben, was nicht leichtfällt. Und das Menetekel eines hoch riskanten Strukturwandels im Anleihenmarkt wird immer deutlicher sichtbarer.
Mit dieser langanhaltenden Niedrigzinsphase steigt die Duration der weltweit wichtigsten Anleiheindizes. Die Duration ist eine Kennziffer, die besonders bei den Fondsmanagern ein wichtiges Instrument ist, die sich in der Zusammensetzung ihre Portfolios ganz besonders stark von Anleihen leiten lassen. Ist die Duration hoch, dann heißt das, dass auch der Zeitraum länger wird, bis ein Fondsmanager sein investiertes Geld mit Zinszählungen zurückerhält. Je länger also dieser Zeitraum, die Duration, ist und je kleiner der Kuponzins ist, desto größere Auswirkungen haben Zinsänderungen. Zinsänderungen können schnell und auch kräftig eintreten und bereits bei einer Zinserhöhung um 1 Prozent und einer Laufzeit eines Anleiheportfolios von fünf Jahren verringert den Wert des Portfolios um fünf Prozent, was eine Menge Geldverlust bedeuten kann. Die steigende Duration der Anleiheindizes hat daher die unschöne Wirkung, dass im Falle einer Zinswende in der Notenbankpolitik, also bei steigenden Zinsen der Ausverkauf am Bondmarkt recht kräftig ausfallen kann.
Diese Negativwirkungen kennen natürlich die Notenbankchefs und werden wie in der Vergangenheit zu konzertierten Absprachen und Zinsentscheidungen kommen, kommen müssen. Denn das Geist nun einmal aus der Flasche ist und ihn niemand mehr wieder zurück in die Flasche bekommt, ist er nur noch von allen gemeinsam zu beherrschen, vorübergehend. Die Telefondrähte jedenfalls glühten seit der internationalen Finanzkrise 2007/08, der Eurokrise seit 2011 und immer wieder vor Zinsentscheidungen der Fed und der EZB.
Was die Regierungen bei den Notenbankchefs in Auftrag gegeben hatten, ließ und lässt sich noch so gerade halbwegs überzeugend als Maßnahmen zur Unterstützung der Finanzmärkte begründen. Weder brauche die Finanzmärkte diese Art unterstützender Eingriffe noch darf man heute noch der Meinung sein, solche geld- und finanzpolitischen Eingriffe, wie wir sie nun seit mehr als zehn Jahren erleben durften, würden folgenlos bleiben. Selbst wenn der Anfang der expansiven Geldpolitik unter dem Kürzel QE in den Vereinigten Staaten von Amerika so in der heute sichtbaren Konsequenz nicht beabsichtigt war, spätestens mit der EZB Politik war der Geist der Politischen Ökonomie nicht mehr in der Flasche. Aus vielleicht als Unterstützungsmaßnahmen im Sinne Keynes gemeinten Eingriffen in die Unabhängigkeit der Notenbanken und über diese in die Finanzmärkte, wurden von den Regierungen in den USA und in Europa massivste Verwerfungen auf diesen Märkten ausgelöst. Und mit dem Eintritt Chinas in die global vernetzten Wirtschaftsstrukturen wurden die Verwerfungen noch größer und der Wettbewerb der Staaten untereinander härter und unerbittlicher.
Nun kann keine Regierung mehr aus der Zinsfalle heraustreten, Zinsanhebungen selbst nur beabsichtigt und als Absicht öffentlich erklärte, lösen heute sofort derart drastische Bewegungen an den Finanzmärkten aus, dass keine Regierung solche Gedanken allein auch nur öffentlich anstellen dürfte. Die Notenbanken können nicht mehr tun, was zu tun wäre und verharren in Schockstarre vor den Folgen ihrer Regierungspolitik.
Selbst Krisen wie die derzeitige Handelskrise zwischen China und den USA, die sich natürlich aufgrund der globalen Vernetzung wichtiger Wirtschaftsbereiche auch in die globalen Fertigungs- und Finanzmärkte ausweitet, werfen ihre Schatten über die Politische Ökonomie. Würde sich, was wahrscheinlich ist, am Ende ein ‚coup de raison‘ ergeben und China und die USA sich einig werden, wird sich als eine Folge die globale Güternachfrage erhöhen und so gerade jene Volkswirtschaften wiederum überproportional davon profitieren lassen, die stark exportorientiert produzieren.
Und wieder wird das Rad der asymmetrischen Leistungsbilanzen sich eine Runde weiterdrehen. Wir erleben es gerade, wie der Einkaufsmanager-Index steigt, der in China wie in Europa. Die Aktienmärkte freut das ebenso wie die Segmente der Finanzwelt, in denen riskantere Anleihen gehandelt werden. Wie lange neben Aktien auch Anleihen wie Pfandbriefe und Unternehmensanleihen weiter rentieren, weiß niemand, aber wie wahrscheinlich ist es, anzunehmen, dass Deutschland, Japan, andere exportstarke Nationen Regierungen bekommen, die ihre Leistungsbilanzüberschüsse nicht in negativ rentierende Staatsschulden umwandeln? Warum sollte die EZB in einer Phase konjunkturelle Erholung einiger Euro-Staaten den Euro verteuern und so die Erholung gleich wieder abwürgen?
Es wird wohl zur Gewohnheit, bis zum nächsten Crash mit einem Anstieg von Finanzrisiken zu leben. Zur Gewohnheit, dass riskante Anlagesegmente innerhalb einer langanhaltenden Phase von Niedrigzinsen sich ausweiten, und es wird Gewohnheit bleiben, die Staatsschulden einfach wie ein Naturereignis zu betrachten und zu akzeptieren, wenn doch mit diesen Schulden ein einträgliches Geschäft zudem noch zu machen ist. Die durch die ständigen Eingriffe der Politischen Ökonomie erzeugte, verkehrte Finanzwelt, in der Schuldner weniger zurückzahlen müssen, als sie sich geliehen haben, dürfte also noch länger Realität bleiben, als uns lieb ist. Den Krieg der Sterne bezahlen alle.
In der Sackgasse der Politischen Ökonomie
Die Analyse der Niedrigzinsphase dürfte jeden überzeugt haben, dass die Modern Money Theorie in allen ihren wesentlichen Ansätzen und Schlussfolgerungen falsch ist. Die Wirklichkeit auf den internationalen Finanzmärkten aber hat die berechtigte Kritik an der MMT ein-, ja sogar überholt. Die Wirklichkeit, besonders auf den Bondsmärkten, scheint in einem, dem wichtigsten Punkt der MMT Rechnung zu tragen: eine expansive Staatsausgaben-Politik scheint die einzige Rettung bei zunehmenden Staatsverschuldungen zu sein. Schulden mit Schulden zu bekämpfen, wer hätte das noch vor zwanzig Jahren gedacht? Aber solange es Staaten gibt, wie Deutschland und andere europäische Staaten, die eigentlich noch zu Krisenstaaten gezählt werden dürften, die für Staatsanleihen sogar noch Geld einnehmen, also keine Zinsen zahlen und sogar Negativzinsen erheben, das ist dann doch nicht anders, als mit einem fundamentalen Strukturwandel zu bezeichnen.
Wir bleiben dabei, dieser Strukturwandel ist sogar noch mehr als ein Strukturwandel. Es ist eine Transformation der Marktwirtschaft durch die Politische Ökonomie. Denn das Grundproblem an den negativen Leistungsbilanzen ist, dass sie kein reines Wirtschaftsproblem sind, sondern ein Resultat ungenügenden an die Weltwirtschaft angepasster, nationalstaatlicher Wirtschaftspolitik. Überwiegend, so meinen wir das, sind also die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen nicht Marktergebnisse, sondern Resultate staatlicher Eingriffe über die Notenbanken in die globale Finanzordnung, die zu Verwerfungen innerhalb wachstums- und entwicklungsdynamischer Prozesse auf den Weltmärkten führt, die dann wiederum geld- und fiskalpolitisch korrigiert werden müssen; da capo!
Die Zeiten nationalstaatlichen Eskapismus sind längst vorbei. Würden die USA den Dollar stark abwerten, gerieten sie sofort unter Inflationsdruck, den sie mit steigenden Zinsen bekämpfen müssten, wodurch die globalen dynamischen Wachstums- und Entwicklungsprozesse, also die Weltkonjunktur sogleich abgebremst würde. Auf der Seite des privaten Konsums befinden sich die USA ebenso in einer Sackgasse, da dieser durch einen anhaltenden, starken, ausländischen Kapitalzufluss bedingt ist und umso besser funktioniert, wie die die Kapitalmarktzinsen und Renditen hoch und nicht durch eine Dollarabwertung gefährdet sind. Was also für den Güterexport richtig wäre, ist für die Finanzierung des amerikanischen Konsums und auch des amerikanischen Staatsdefizits kontraindiziert.
Käme es zu einen deutlichen Kapitalabfluss aus den USA, würde das die Weltwirtschaft negativ beeinflussen. Käme es zu einer Dollarabwertung, wäre das für den amerikanischen Export sehr förderlich, hätte aber infolge der notwendigen Wechselkursanpassungen vor allem in den Aufwertungsländern rezessive Folgen. Es wäre zu kurz gedacht, hier nur darauf zu sehen, dass dann die Leistungsbilanzen dieser Staaten weniger an Ungleichgewichten tragen würden. Eben diese Ungleichgewichte aber sind es ja, die in diesen Staaten rezessive Anpassungen der Realwirtschaft verhindern helfen mit den Folgen von Deflation und Arbeitsplatzverlusten.
Es ist eben ein strukturelles Dilemma, in das die USA sich mit ihrem Modell einer auf den eigenen Markt und ihre Dominanz in der Weltwirtschaft fokussierten, Politischen Ökonomie gebracht haben. Was heute die internationale Wettbewerbsfähigkeit der USA somit schlagartig und deutlich verbessern würde, hätte den gegenteiligen Effekt im „Rest der Welt“. Amerikas Auslandsvermögen würden bei steigenden Exporten stark ansteigen, ihre Position als Nettoschuldner gegenüber dem Rest der Welt würde sich verbessern und ohne Zutun würden sich bei einem schwächeren Dollarkurs die Erträge, die die US-Unternehmen im Ausland erwirtschaften, nach der Umrechnung in Dollar im Wert erhöhen.
Das, was wir aktuell als die politische Doktrin der Trump-Administration erleben, der Handelskrieg mit China und Europa, ist eben genau diese Vorstellung, nicht durch Anpassung an die Prozesse der Weltwirtschaft und der globalen Finanzmärkte abrupte Verwerfungen zu vermeiden, sondern zu jener dominanten Rolle der USA zurückzufinden, die die USA aber schon seit langem unwiederbringlich verloren haben. So unterstützt die US-Regierung zur Korrektur ihres Staatsdefizits den weiteren Aufbau riesiger Bestände an Finanzvermögen in ihren Unternehmen und behindert den Abfluss von Kapital in wachstums- und entwicklungsstarke Volkswirtschaften spürbar. Restriktionen und Protektionismus gegenüber dem Ausland führen aber nicht zur Senkung des Haushaltsdefizits, zu weniger kreditbasiertem Konsum der privaten Haushalte in den USA.
Würden
sich die Banken bei der Vergabe von Konsumkrediten restriktiver
verhalten, also der Konsum zurückgehen und die Immobilienpreise
sinken, wäre das nach Ansicht der US-Regierung der Untergang des
Abendlandes. Aber wie sollen Exportnationen kontinuierlich ihre
Überschüsse senken, wenn die Nachfrage aus den USA nach
Konsumgütern hoch bleibt? Warum sollten die Ölförderländer
ihre Petrodollar in den Import teurer, amerikanischer Produkte
stecken, wo sie doch diese Produkte preiswerter und oft auch
qualitativ besser auf den Weltmärkten erwerben können.
Wie
wir gezeigt haben, liegt die Wachstumsschwäche der
Eurozonen-Staaten wie der gesamten EU nicht an einem zu geringen
Import amerikanischer Güter und Dienstleistungen nach Europa.
Die Mär vom gigantischen Handelsdefizit der USA gegenüber
Europa wird nicht wahrer durch ständiges, penetrantes
„Gezwitscher“. Auch ist der erpresserische Aufruf von
Donald T., auf Exporte besonders der deutschen Automobilhersteller in
die USA in den nächsten sechs Monaten (Mai bis Nov. 2019)
freiwillig zu verzichten, andernfalls mit drastischen Erhöhung
der Einfuhrzölle rechnen zu müssen, in der Art lächerlich
und in der Sache lediglich eine Erhöhung der
Opportunitätskosten1 ,
die jeder Abbau von Leistungsbilanzdefiziten mit sich bringen würde.
Warum sollten die Exportnationen diese Kosten tragen, die mit zwar
langsamen, aber anhaltenden rezessiven Prozessen verbunden sind?
Warum sollte sich die Weltwirtschaft abkühlen und in manchen
Regionen zu Verwerfungen kommen, nur weil die USA ihre Vorstellung
einer liberalen Marktwirtschaft unter US-Dominanz behalten und
durchsetzen wollen?
Die Szenarien im Handelskrieg sind begrenzt. Die Frage, um wieviel der CNY aufwerten müsste, damit das US-Defizit gegenüber China innerhalb einer überschaubaren Zeit korrigiert werden könnte, wird von Währungsexperten mit dreißig bis fünfzig Prozent angegeben, ist also illusorisch auf kurzer bis mittlere Sicht. Außerdem haben Behandlungen an Symptomen selten Krankheiten beseitigt und sind auch kaum ohne Nebenwirkungen zu bekommen. Eine der Nebenwirkungen einer CNY-Aufwertung träfe gerade jene Wirtschaftssegmente in China, die wie die chinesische Landwirtschaft per se schon wirtschaftlich schwächer sind und im Wettbewerb kaum bestehen können, die aber für China mit einem immer noch zahlreichen Heer an lohnschwachen Landarbeitern und ertragsschwachen Landbetrieben politisch von größter Bedeutung sind, zumal die Schere zwischen Arm und Reich auch im Reich der Mitte zunehmend mehr auseinanderklafft. Und weil gerade in diesen wirtschaftlich schwachen Segmenten kein Mittelweg gefunden wird, kommt die Politische Staatsökonomie auch schnell unter Druck.
Die Zeiten der Transformation wie heute gelten auch generell nicht mehr die alten, bewährten Muster nationalstaatlicher Volkswirtschaftslehren. Und eigentlich galten sie sowieso nie wirklich so richtig. Das Muster ausgeglichener Haushalte durch ein Gleichgewicht von Ein- und Ausfuhren ist ein wissenschaftliches Desiderat, kein tatsächlicher Sachverhalt empirischer Beobachtung. Nicht einmal in archaischen Tauschgesellschaften war ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen jederzeit möglich und deshalb mussten Ungleichgewichte auch dort auf unterschiedliches Weise kompensiert werden. Jede Gesellschaft, selbst die archaischen, tragen asymmetrische Elemente und in entwickelten Marktwirtschaften sind diese gleichsam die Fundamente wirtschaftlichen Handelns. Wachstum und Entwicklung gehen niemals symmetrisch, einzig im Stillstand.
Überschuss-Volkswirtschaften wie etwa die
Japans oder Deutschlands können einzig auf dem Weg eines stark
verlangsamten, relativen Wachstums und einer Rückbildung ihres
globalen Handels wirtschaftliche Dynamik und also Entwicklung
stillstellen. Jede Marktwirtschaft trägt in ihrer Außenbeziehung
asymmetrische Züge, wie sollte es anders sein?
Wenn
exportstarke, wachstums- und entwicklungsfähige
Volkswirtschaften ihre Leistungsbilanzen ausgeglichener gestalten
wollten, so ginge das nur um den Preis einer stark verlangsamten
Entwicklung im Welthandel und eines relativ niedrigen Wachstums,
welches dann noch mit der Steigerung der Binnennachfrage einhergehen
müsste. Die Binnennachfrage müsste zugleich aber
importsteigernd sein und wenn dann der Binnenkonsum mit einer
Steigerung der Importe einhergeht, hat die Gesamt-Binnennachfrage am
Ende auch ein größeres Gewicht als der Außenhandelssaldo.
Das ginge rein rechnerisch eine Weile, aber real stellte sich schnell die Frage, wie lange die Korrektur des Leistungsbilanzungleichgewichts denn andauern könnte, bevor die Leistungsbilanz in einen negativen Saldo rutscht, zumal die Außenbeziehungen einer Volkswirtschaft nicht so schnell und effektiv sich steuern lassen, wie der Binnenkonsum prinzipiell. Wer glaubt, man könnte auf den globalen Märkten wie auf den Sommerparties an den Stränden Floridas mal reinschauen und nach Gusto wieder rausgehen und eine andere besuchen, der hat wenig Ahnung vom Wirtschaften. Und der Preis allein macht schon lange nicht mehr das einzige Steuerungskriterium der Märkte aus.
In einer weltweit vernetzten Wirtschaft ist die Währung resp. der Wechselkurs von mitentscheidender Bedeutung für die Leistungsbilanz. Wenn wir von einer Dollar-Abwertung von bis zu 50 Prozent ausgehen, damit das US-Defizit nachhaltig abgebaut werden könnte, wobei aber die Frage im Raum steht, ob denn alle in den USA dies wünschten, dann haben wir zunächst einmal den Blick zurück in die das Jahrzehnt zwischen 1970 und 1980 im Auge. Dieses Jahrzehnt kann man als einen historischen Vergleich heuristisch veranschlagen, wertete doch damals die Deutsche Mark gegenüber dem US-Dollar um glatte 50 Prozent auf. Zwischen 1985 und 1995 lag die Aufwertung sogar bei 61% und in knapp sieben Jahren zwischen 2001 und November 2007 lag die Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar sogar bei 63%. Man kennt also solchen Wechselkursanpassungen, die über einen längeren Zeitraum zwischen sieben und zehn Jahren stattgefunden haben, ohne dass es zwischen den beiden Volkswirtschaften zu größeren Verwerfungen kam, jedenfalls nicht in einer drastischen Absenkung des Nationaleinkommens. Aber sind diese Jahre mit der aktuellen Situation zu vergleichen? Mitnichten.
Wie der deutsche Sachverständigenrat sind die
meisten offiziellen Institute in Europa der Meinung, dass es keiner
politischen Interventionen bedarf, um die Wechselkurse langfristig
sich einander annähern zu lassen und begründen dies mit
einer Anpassung durch die Kräfte der Marktwirtschaft, also
immanent. Der Primat der Marktwirtschaft ist dabei Desiderat, weil
niemand in den Instituten in der Lage ist, eine präzise
Vorhersage aus der Projektion historischer Daten vorzustellen. Und ob
die Devisenmärkte nach den Mechanismen von Angebot und Nachfrage
überhaupt funktionieren, darf auch stark angezweifelt
werden.
Wenn mit einer zeitlich zu engen Anpassung der Währungen
zur Vermeidung von Leistungsbilanzungleichgewichten spekuliert würde,
sehen Experten der Geldmärkte durchaus die Gefahr, dass der Euro
gegenüber dem Dollar und zugleich auch gegenüber
asiatischen Währungen zu schnell aufwertet und mit einer
tendenziellen Überbewertung des Euros es in der Eurozone zu
einem stark verlangsamten Wachstum kommt mit den bekannten Folgen für
die europäischen Arbeitsmärkte, die zumal in den südlichen
Euro-Staaten im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit besonders belastet
sind.
Eine Folge wäre, dass gegen ihre Absichten sowohl die
EZB wie der europäische Ministerrat strikte
Devisenmarktinterventionen befürworten müssten, um die
Euro-Aufwertung nicht in eine unsteuerbare Eigendynamik durch die
Devisenmärkte selbst wiederum zu bringen und die Arbeitsmärkte
noch mehr zu belasten, als ohnehin schon.
Wenn also eine aktive europäischen Wechselkurspolitik, sei sie auch international koordiniert oder ein Alleingang der Eurozone ein unüberschaubares Risiko einschließt, was dann? Wie immer hilft ein Blick auf die Geldmarktpolitik der USA. Wie wir bereits angemerkt haben, sind die Notenbanken entgegen aller anderen Verlautbarungen sehr eng in ihren Beschlüssen untereinander abgestimmt. Weder die Regierungen der USA noch der Eurozone haben ein vitales Interesse daran, den Krieg der Sterne ausarten zu lassen, nützt dies doch am Ende niemanden. Beide Währungsräume wissen, dass es heute wie in den 1980-90er Jahren nicht ratsam ist, Währungen zu schnell zu drastischen gegeneinander zu verändern. Die Alternativen sind eine vorausschauende, multilaterale Geldpolitik zur Vermeidung des Risikos einer abrupten Anpassung. Und diese Gespräche werden seit Jahrzehnten geführt und sind auch heute wieder gegen die virulenten Verwerfungen der Wechselkurse gerichtet.
Grundsätzlich sind sich die Geldpolitiker
beiderseits des Atlantiks einig, dass die niedrigen Zinsen und
besonders in der Eurozone, von prominenter Bedeutung sind für
die Handelsbeziehungen wie für die Arbeitsmärkte, mehr als
die Handelsbeziehungen selbst. Deshalb schätzen die
Geldpolitiker auch zurecht den derzeitigen Handelskonflikt zwischen
den USA und China und den möglicherweise eigens folgenden
zwischen der Eurozone und den USA nicht ganz so wichtig ein, wie die
Zinspolitik der Notenbanken.
Wir haben vermerkt, dass die Fed die
geplanten Zinserhöhungen bereits ausgesetzt hat, obwohl die
US-Wirtschaft längst konsolidiert hat, ihr Wachstum bei drei
Prozent liegt wie auch der Arbeitsmarkt eine niedrige
Arbeitslosenquote ausweist – bei aller Besonderheit des
US-Arbeitsmarktes, ein für diesen gutes Ergebnis.
Die
Geldpolitik der USA hat bereits eine weitere Auswirkung gezeitigt,
die Rendite für zehnjährige US-Staatsanleihen, die im
Herbst 2018 bei 3,25 Prozent lag, erreicht aktuell (05/2019) nur noch
2,5 Prozent. Aber was den Geldpolitikern in den USA Sorgenfalten auf
die Stirn zeichnet, ist die sog. PCE-Kerninflation2 ,
der bei lediglich 1,6 Prozent im Jahresvergleich liegt.
Wir haben mehrfach den kausalen
Zusammenhang zwischen Konjunkturzyklen und Inflationszyklen
bezweifelt und der aktuelle PCE belegt, dass trotz sehr guter
Konjunktur in den USA nicht auch die Inflation mitsteigt. Die
Zielerwartung von mindestens 2 Prozent wird weder aktuell erreicht
noch haben über die Jahre hinweg die Inflationsziele mit den
konjunkturellen Werten Schritt gehalten. Das lag allein an der
interventionistischen Geld- und Fiskalpolitik der US-Regierung resp.
der von dieser beauftragten Notenbank. Seit Jahrzehnten steht das
FOMC3
im offiziellen wie informellen Kontakt mit den jeweiligen
US-Regierungen.
Der Fed-Chef spricht wöchentlich während
eines gemeinsamen Frühstücks oder Mittagessen mit dem
Finanzminister und erhält durch die Wünsche des Präsidenten
auf informellem Weg. Das FOMC-Meeting finden offiziell acht Mal im
Jahr statt und ist bekannt für seine US-Zinsentscheidungen.
Diese Termine hat so ziemlich jeder Finanzmarkt-Trader rot in seinem
Kalender angestrichen und gehören somit zu den wichtigsten
Treffen, die im Wirtschaftskalender zu finden sind. Während der
letzten Rezession war das FOMC für die QE-Politik in den USA
verantwortlich wie es auf Grund der geldpolitischen
Entscheidungsmacht eine große Rolle für den Zustand der
US-Märkte spielt. Und dabei ist es kein Zufall, dass die
wichtigsten Mitglieder des Boards von US-Präsidenten selbst
bestimmt werden.
Nimmt man diese Institution und ihre personelle
Struktur mit ins Kalkül, wird deutlich, dass die US-Notenbank
selbstverständlich nicht unabhängig ist und autonom ihre
geldpolitischen Entscheidungen trifft. Dutzende von Beispielen
belegen, dass in der Nachkriegszeit Regierungen ihren Einfluss auf
die Notenbanken ausgeübt haben, wenn es um die Finanzierung
ihrer Haushalte ging; das gilt fast weltweit für alle
Regierungen und im Besonderen heute für Japan, die Türkei,
Brasilien und Argentinien etc.
In den USA wird offen darüber
gehandelt, das FOMC stärker dazu zu drängen, die Zinsen zu
senken und zu versuchen, die Inflationserwartungen auf zwei Prozent
zu bringen. Der Druck aus den Oval Office ist ja öffentlich
bekannt, da der derzeitige Präsident wenig Hemmungen hat, seinen
Einfluss auf die Fed mit der Öffentlichkeit der USA zu
teilen.
Worum geht es in der Geldpolitik des FOMC? Da ist zuerst
die Erkenntnis, dass der Glaube an der Beziehung zwischen der
Realwirtschaft und der Inflation in den letzten Jahren
zusammengebrochen ist. Das bedeutet, dass weder Ökonomen noch
Notenbanker mehr davon ausgehen können, dass eine niedrige
Arbeitslosigkeit, selbst im konsumverwöhnten Amerika die
Inflation auf den Zielwert von 2 Prozent oder noch höher bringt.
Eine Erklärung, warum dieser Konnex nicht mehr existiert, schein
schwierig zu sein, jedenfalls bringt ein Rückblick in die
Geschichte des letzten Jahrhunderts, als die Notenbanken die
Inflation durch ihre Zinspolitik noch weitgehend steuern konnten,
nicht mehr sehr viel; Tempi passati.
So äußert sich auch mittlerweile der
frühere EZB-Chefvolkswirt, Otmar Issing, der sagt, die
Unabhängigkeit der Notenbanken könnte eine vorübergehende
historische Episode bleiben und zielt mit dieser Äußerung
auf den Einfluss der Politik auf die personellen Entscheidungen der
Zentralbankfunktionäre ebenso ab wie auf die haushälterische
wie instrumentelle Unabhängigkeit der EZB, die er stark im
Schwinden sieht.
Die US-Notenbank war und ist vom Grundsatz her
weniger unabhängig im Vergleich zur EZB und gibt mittlerweile in
ihrer Geldpolitik den internationalen Standard mit der 2 Prozent
Inflationszielvorgabe aus. Man kann es auch anders formulieren; die
Fed, die ja ein Geschöpf des US-Kongresses ist, also wenig
unabhängig, folgt einer Politik, die sich stärker den
politischen Tagesgeschäft der US-Regierung anpasst, gleichwohl
sie stets betont, sich aus den geldpolitisch instrumentellen
Politikvorgaben heraushalten zu wollen.
Aber wer glaubt denn noch
daran, dass die Fed bzw. das FOMC bei der Festsetzung der Höhe
des Zentralbankbudgets sowie dessen Gestaltung und Verwendung
angesichts des letzten Jahrzehnts noch unabhängig vom
politischen Tagesgeschäft in Oval Office agiert? War das
QE-Programm, dieser massivste Einsatz geldpolitischer Instrumente
tatsächlich frei von US-Regierungspolitik, die den
Subprime-Markt so sehr verworfen hatte, dass es zu einer
internationalen Finanzkrise gekommen ist? Da wurden politische
Verwerfung korrigiert und keine reine Geldpolitik gestaltet.
Das FOMC weiß ganz genau, wenn es zu geldpolitischen Entscheidungen kommt, aus welchen Gründen auch immer, die das 2 Prozent Inflationsziel deutlich in Frage stellen, kann es hochwahrscheinlich zu einem Chaos auf den Devisenmärkten kommen. Man ist sich dieses Einflusses auch gewiss und hat damit ein sehr wirksames Instrument in der Hand, welches schneller und wirksamer über die Kapitalmärkte Einfluss auf die Weltwirtschaft nehmen kann, als der derzeitige Handelskonflikt überhaupt und wenn, dann nur in sehr langen Zeiträumen.
Unmittelbar drohen also weniger Verwerfungen durch die US-Handelspolitik, als durch die Zinspolitik der US-Notenbank, Verwerfungen auf den Devisenmärkten, die ein direkter Ausdruck der Politischen Ökonomie sind. Dazu gehört auch das, was man mittlerweile das Management der Renditekurve nennt und als Politik der japanischen Notenbank kennengelernt hat. Das ist die gezielte Beeinflussung der Zinsdifferenz zwischen 10-jährigen und 2-jährigen US-Staatsanleihen4 , gezielt deshalb, weil das FOMC auch für die langfristigen Renditen Ziele vorgibt und also diese auch schon lange nicht mehr den Marktmechanismen überlässt.
Gab es noch vor der internationalen Finanzkrise
zumindest eine Diskussion darüber, ob die Leistungsbilanz nicht
schweren Schaden nehmen würde, setzte man die Ziele für
längerfristige Zinsen per Entscheidung fest, so ist von dieser
Diskussion, die eben diesen Zusammenhang in die Erklärung für
das US-Handelsdefizite mit einbezog, nichts mehr übrig. Aber
genau das ist doch passiert. Die massiven Eingriffe in die
Anleihenmärkte durch das QE-Programm hat in den letzten zehn
Jahren eben dieses Defizit mit, wenn nicht sogar allein
verursacht.
Die japanische Notenbank hat es gewissermaßen
vorgemacht und war für das FOMC eben die Blaupause und nun haben
beide die Zinsen für länger laufende Anleihen genau an dem
Punkt, wo die beiden Notenbanken sie haben wollten.
Je mehr die
Notenbanken in die Geld- und Kapitalmärkte eingreifen und je
länger dieser Eingriffe dauern, desto unumkehrbarer scheinen
diese Wirkungen zu werden. Sie sind auf keinen Fall „alternativlos“,
denn mit Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik haben sie nichts zu tun,
jedenfalls nicht unmittelbar. Der Hunger der Regierungen nach
‚Haushaltsgeld‘ hat sie in einen ruinösen Krieg
untereinander geführt, der als Währungskrieg über
zinspolitische Maßnahmen ausgetragen wird. Aber er hat auch
noch einen anderen Effekt, der weit über das, was bislang
beschrieben worden ist hinausgeht und mit der Eurozone ganz
spezifisch verbunden ist.
Sanfte Enteignung
„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“, lässt Bertolt Brecht den Mackie Messer in seiner „Dreigroschenoper“ fragen. Bei kaum einem anderen Delikt können die Täter nach einem gelungenen Coup auf so viel Respekt hoffen, wie nach einem Einbruch in eine Bank, kaum weniger Respekt hatte man vor einer Bank als Institution von Geld und Macht als im 19. Jahrhundert und so verzieh man den Bankräubern schon einmal, solange keine Menschen zu Schaden kamen.
Überfälle von Räuberbanden in der
vorindustriellen Zeit gab es schon bevor der Bankraub Ende des 19.
Jahrhunderts als Phänomen in Erscheinung trat5 .
Und alles begann mit dem Überfall auf die Postkutsche, einer
amerikanischen Erfindung in den Zeiten des Wilden Westens.
Meistens
beim Sonnenuntergang kamen die Räuber aus ihre Verstecken und
jagten im gestreckten Galopp hinter der Kutsche her, wild um sich
schießend, während der Lenker auf dem Bock den zwei oder
vier Pferden die Peitsche gab und die Peitschenhiebe mit den
Revolverkugeln und den die Pferde antreibenden wilden Schreien durch
die Prärie hallten; das war die Urszene für alle
Wild-West-Liebhaber. Dann rollte noch dieser vertrocknete Busch über
den Postkutschenpfad und man nahm Abschied von dem Sheriff, der
hinten auf der Kutsche vergeblich versucht hatte, den Angriff
abzuwehren und nun zusammengesunken irgendwie zwischen dem Gepäck
der edlen Damen hing.
Den Räubern ging es um die Kiste, von der sie wussten, dass sie heute zu dieser Stunde in der Kutsche mitgefahren sein würde. Sie nahmen sie, meist musste zwei die Kiste anheben, so schwer war sie von Gold- und Silberdollar; manchmal nahm einer der unrasierten, verwegenen Typen mit den vielen Lücken in den Zähnen und einem schielenden Auge einer den edlen Damen ihren Halsschmuck noch ab. Aber das war eigentlich nicht Ziel der Sache und irgendwie auch nur ein psychologisches Spannungsmoment und außerdem konnte der Regisseur ein Close Up auf das reizende Dekolleté der Dame unterbringen.
Dollarnoten kamen in Amerika erstmals im Jahr 1861 in den Umlauf. Vorher gab es nur Münzen, deren Gold- oder Silbergehalt durch Bundesgesetze geregelt war und nur staatliche Münzanstalten die Dollarmünzen prägen durften. Wir haben am Anfang des Kapitels: An die Arbeit notiert, dass in Europa die ersten Vorläufer der Banknoten, die Wechsel, zu Zeiten der Fugger herausgegeben worden sind, auch um den Räubern ihr schmutziges Handwerks zu legen, die die Händler, die oft aus Norditalien zurück nach Augsburg ritten regelmäßig überfielen und ausraubten. Dann wurden die Wechsel durch die Bank of London eingesetzt, um Englands Kriege zu finanzieren und wurden Schuldscheine bzw. Krediturkunden. Kein Wunder, dass sich diese lange Geschichte im Amerika des 19. Jahrhunderts konzentriert wiederholte, denn die Dollarnote wurde just dazu eingeführt, den Sezessionskrieg zu finanzieren.
Die amerikanischen
Schuldscheine, IOU – von I owe you, ich schulde dir –
genannt, wurden vom Bundesstaat herausgegeben, um die Gehälter
der Soldaten und die vielen anderen Kriegskosten zu bezahlen, dann
sagte man: zu finanzieren, da nie genügend Münzen aus Gold
und Silben zur Hand waren. Schuldscheine waren nicht schwer und vor
allem für Postkutschenräuber wertlos, mussten sie doch in
einer Bank eingetauscht werden; wie dumm.
In dem großen,
weiten Land wurden daher nicht mehr Kisten mit Gold und Silber
zwischen den Banken hin- und hertransportiert, sondern schöne
Papiere. Und auf diesen Papieren war nun notiert, wie hoch die Summe
war, die von einer Bank an eine andere zu überweisen war. So kam
es auch damals schon vor, dass eine der beiden Banken, die
überweisende Bank, nicht genug Geld für die Überweisung
hatte und sich diese Geld kurzfristig leihen musste, sich also
temporär verschuldete und eine Summe kreditieren musste. Aber
damit es nicht zu großen Schieflagen im Zahlungssystem Amerikas
kam, hatte man beschlossen, die Salden in regelmäßigen
Abstanden auszugleichen. Dieser Saldenausgleich fand physisch statt,
also fuhren, nicht mehr ganz so oft, aber regelmäßig
wieder Postkutschen mit Kisten voller Gold und Silber durch die
Prärie; das Datum des Saldenausgleichs war eins der
best-gehüteten Geheimnisse der USA.
Aus Postkutschen wurden
dann Züge, später Airlines und heute elektronische
Datenwege, Glasfaser und Satelliten, aber die Zeit des Bankraubs war
nicht wirklich vorbei und wird es auch nicht sein im Zeitalter der
Kryptowährungen.
Heute werden die am Ende eines Geschäftstages verbliebenen Forderungen und Verbindlichkeiten aller an Target2 teilnehmenden, nationalen Zentralbanken der Eurozone gemäß einem Abkommen im Eurosystem an die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen und dort saldiert. Die hier bereits oft angesprochenen Target2-Salden sind somit das Ergebnis der grenzüberschreitenden Verteilung von Zentralbankgeld innerhalb der dezentralen Struktur des Eurosystems. Das dezentrale Eurosystem ist eine Besonderheit, wie wir bereits notierten und hat mit den Target2-Salden eine spezielle Kontoführung, die es so in den USA nicht gibt. Den Unterschied zwischen beiden Zahlungssystem herauszuarbeiten erscheint uns von fundamentaler Wichtigkeit zum Verständnis der beiden Wirtschaftsräume und der Frage, wohin die Entwicklungen gehen werden? Werden die Unterschiede beider westlicher Wirtschaftssysteme auf der Basis ihrer Geldsysteme im Prozesse der Entwicklung der Weltwirtschaft angeglichen, oder bleiben die Unterschiede bestehen? Und wohin können diese Unterschiede sich entwickeln, welche Auswirkungen haben diese Unterschiede in Bezug auf das Eigentum und die Wohlfahrt einer Gesellschaft?6
Schauen wir uns also das Eurosystem und das Federal Reserve System (Fed) einmal etwas genauer hinsichtlich seiner Strukturen an. Die Fed ist ein System, bestehend aus zwölf regionalen Notenbanken und einem Direktorium in Washington. Man sieht, die regionalen Notenbanken, auch District-Feds genannt, sind nicht nach den US-Bundesstaaten organisiert, bilden als kein, nach Regionen organisiertes, föderales System, welches einen wie auch immer gearteten Ausgleich zwischen autonomen Regionen, politischen Verwaltungen und Institutionen beabsichtigt. Es ist also strukturell darin schon verschieden von der Eurozone, die aus einem EZB-Rat, aus dem Direktorium und den nach Staaten organisierten, nationalen Notenbanken besteht.
Hier wie dort werden die Regeln der Geldpolitik bestimmt, hier aber sitzen im EZB-Rat neben dem EU-Ratspräsidenten die Präsidenten aller noch 28 nationalen Mitgliedsstaaten der EU. Mit anderen Worten: der ‚Erweiterte Rat‘ umfasst die Vertreter der 19 Länder des Euro-Währungsgebiets sowie die Vertreter der neun Länder, die den Euro noch nicht eingeführt haben. Die anderen Mitglieder des Direktoriums der EZB, der Präsident des EU-Rats und ein Mitglied der Europäischen Kommission können an den Sitzungen des Erweiterten Rats teilnehmen, sind jedoch nicht stimmberechtigt.
Hätte sich der EZB-Rat strikte an die Vorgabe
der No-Bail-Out Passage der Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion (EWWU), die in Art. 125 AEU-Vertrag festgelegt ist
und die Haftung der Europäischen Union sowie aller
Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten
ausschließt gehalten, wäre das Geldsystem der EZB und das
der Fed miteinander vergleichbar. Beide Geldsysteme wären
Systeme, die vornehmlich zur steuernden Beeinflussung der jeweiligen
Konjunkturen ihrer Wirtschaftsräume tätig wären. Diese
„Offenmarktpolitik“ genannte Handlungsweise umfasst den
An- und Verkauf festverzinslicher Wertpapiere zur Erhöhung bzw.
Minderung des Geldumlaufs mit dem Ziel der Konjunkturbeeinflussung;
sonst nichts. Darin sollte jede Notenbank autonom entscheiden über
Zeitpunkt, Zeitraum und Zinssatz ihrer geldpolitischen Maßnahmen.
Und
der An- und Verkauf von Wertpapieren aus dem Besitz von Notenbanken
und Privatbanken sollte begrenzt sein auf bundesstaatliche
Wertpapiere wie etwa Schatzwechsel und Wertpapiere von Bundesbehörden
sowie Obligationen, die von staatlichen Unternehmen oder Gemeinden
als festverzinsliche Wertpapiere ausgegeben wurden.
Die Geldschöpfung innerhalb der Notenbanksysteme in Europa wie
in den USA hat sich aber von dieser Idee weit entfernt. In den USA
hat die Notenbank Papiere des privaten Sektors gekauft, die wir als
Asset-Backed-Securities im Zusammenhang mit der internationalen
Finanzkrise kennengelernt haben. ABS, das sind toxische Wertpapiere,
weil man in diesen Ansprüche auf Rückzahlungen aus ganz
verschiedenen Pfändern verbrieft. Einst erdacht zur
Risikodiversifizierung haben sie den unrühmlichen Titel toxische
Anlage bei Ausbruch des Vorläufers der Finanzkrise erreicht, im
Subprime-Markt, diesem amerikanischen Traum eines Geschenkes vom
Himmel, nur war der Himmel das Oval Office zu Zeiten der
Präsidentschaften von Clinton und Bush. Aus dem Traum: jeder
Amerikaner bekommt sein Häuschen wurde ein Alptraum, aus dem so
mancher in den USA und in Europa bis heute nicht erwacht ist.
Damals
auf dem Höhepunkt der Finanzkrise sah sich auch das
US-Notenbanksystem dazu gezwungen, zur Rettung bzw. zeitlichen
Überbrückung von in Not geratener Banken reichlich viel an
öffentlichen Krediten bereitzustellen. Daraus entstand unter
Regie einer der District-Feds, der New York Fed, das System Open
Market Account(SOMA), in dem für alle District-Feds Käufe
und Verkäufe von Wertpapieren getätigt wurden, um den
hunderten von kriselnden Banken in den Districts mit Liquidität
unter die schlaffen Arme zu greifen. Das war alles andere als
konjunkturstützend, das war staatliche Hilfe für private
Banken. Und das ging schnell in den USA, schneller, als Europa
überhaupt jemals zu solchen Beschlüssen kommen kann.
Das Jahr 2009 war dann eines der bedeutendsten Jahre der Notenbankpolitik. Parallel zu den massiven Zinsschritten hat die Fed ein ganzes Sammelsurium zusätzlicher Maßnahmen zur geldpolitischen Stimulierung ergriffen. Wegen der Fülle an verschiedenen Instrumenten mit so vielsagenden Abkürzungen wie z.B. TAF, TALF, CPFF oder AMLF (um nur wenige zu nennen) wirkte dieses Vorgehen auf den ersten Blick etwas unstrukturiert und fand nicht einmal in den USA Eingang in einen breiten, öffentlichen Diskurs, ganz zu schweigen von Europa.
Was man später auch in Frankfurt gelernt hat, war, dass diese ganze Palette an Abkürzungen für Instrumente stand, in deren Vordergrund die Stabilisierung der Kreditmärkte stand, die dann in einem zweiten Schritt auch an die Realwirtschaft adressiert waren und wovon profitieren sollte. Von 2009 an ging es Bernanke also erstens um die Bereitstellung zusätzlicher kurzfristiger Liquidität für Finanzinstitute. Zweitens stützte die Fed strategisch wichtige Kreditmärkte, so z.B. das Commercial Paper-Segment, indem sie entsprechende kurzfristige Schuldverschreibungen, unsere Asset Backed Securities, aufkaufte. Drittens stabilisierte die Notenbank die Kreditmärkte auch durch den Kauf längerfristiger Wertpapiere, z.B. der staatlichen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac .
Die Instrumente, die die kurzfristige Liquidität der
Finanzinstitute adressieren, gehören ins traditionelle
Repertoire einer Notenbank. Der Diskontsatz wurde in die Nähe
zum Tagesgeldsatz gebracht und die Laufzeiten der Ausleihungen von
„über Nacht“ auf bis zu 90 Tage ausgedehnt. Des
Weiteren hat die Fed ihre Diskontaktivitäten durch die Schaffung
der Term Auction Facility (TAF) ausgedehnt, im Rahmen derer
Kreditinstitute (die über Einlagen verfügen, wie z.B.
Sparkassen) gegen die Hinterlegung von Sicherheiten Kredite der
Notenbank mit Laufzeiten von 28 bzw. 84 Tagen erhalten.
Die Term
Securities Lending Facility (TSLF) adressierten
die sog. Primary Dealer, also Banken, die direkt im Rahmen der
Offenmarktgeschäfte mit der Fed handeln. Ihnen stellte die Fed
liquide US-Staatsanleihen im Tausch gegen weniger liquide Assets zur
Verfügung. Hier waren die Einfallstore für die hoch
toxischen Verbriefungsgeschäfte geschaffen, die nicht nur
innerhalb Amerikas offenstanden, sondern über die sog. Currency
Swap Facilities auch Finanzinstituten mit Sitz außerhalb der
USA zusätzliche Liquidität in USD bereitstellten. Damit
konnte die Fed zwar den wichtigen Interbankenmarkt stabilisieren,
aber der Preis war hoch dafür.
Bei der Stützung strategisch wichtiger Kapitalmärkte ging es in erste Linie um die Commercial Paper Funding Facility (CPFF). Die Emission von CPFF war das Mittel der Wahl, nachdem durch die Pleite der Lehmann Bank die Risikoaversion für kurzfristige Finanzmittel für Unternehmen hochschoss. Ohne diese Emissionen wären die Unternehmen von kurzfristige Finanzierungsquellen abgeschnitten gewesen, also kaufte die Fed bei den Primary Dealern eben jene Unternehmensschuldtitel einfach auf, die die Banken hätten in Verzug bringen können.
Allein die beiden ersten Pakete tragen immanent schon jene Problematik in sich, dass Banken auf der einen und Unternehmen auf der anderen Seite durch die Rettungsinstrumente der Fed gewissermaßen am Markt vorbei sich finanzieren konnten bei einem Risiko, das 2009 kein vernünftiger Kaufmann eingegangen wäre. Und welche verheerenden Folgen die Verbriefungen allein in Deutschland angerichtet haben, sind unvergessen. Noch heute zahlt die einst so stolze Deutsche Bank ihren Preis dafür, dass sie bei diesen Geschäften bedenkenlos mitgewirkt hat. Mitgewirkt an einem Programm, welches die Fed zur Stabilisierung der heimischen Geldmarktfonds entwickelt hatte, denen die Mittel im Strömen abflossen.
Lange Zeiten waren die US-Geldmarktfonds ideal, um Liquidität bei guten Zinsen zu parken. Diese guten Zeiten waren natürlich in Gefahr, als die Fed ihre Nullzinspolitik begann; und so kam es auch. Zwischen Dezember 2008 und Dezember 2015 verharrte der US-Leitzins auf einem minimalen Level von 0,25 Prozent und löste die Rendite der Geldmarktfonds-Anbieter regelrecht in Luft auf. Mittels der Asset Backed Commercial Paper Money Market Mutual Fund Liquidity Facility (AMLF) – what a word! – stützte die Fed die Geldmarktfonds und mittels der Term Asset Backed Securities Loan Facility (TALF) beabsichtigte die Fed, den Verbriefungsmarkt für spezielle Konsumenten- und Unternehmenskredite zu beleben, was auch geschah. Was weniger bewusst wurde war, dass die Fed mit den TALF Kredite vergab, die mit AAA-gerateten Asset Backed Securities besichert waren. Und das waren überwiegend Verbriefungen, in denen die neu geschaffenen Studentenkredite und die ebenso neu geschaffenen privaten Kfz-Kredite zusammengefasst waren. Wie diese Kredite zu einem AAA-Rating gekommen sind; einmal mehr: honi soit qui mal y pense. Gerade die hoch verschuldeten Studienabgänger sind dann später ein echtes Problem geworden und die TALF-Instrumente hatten gerade in der von Problemen geschüttelten Autoindustrie nicht die gewünschten Auswirkungen; einmal abgesehen von den Autoimporten deutscher Hersteller, die ordentlich nach oben stiegen.
Man mag das noch als Konjunkturprogramm ansehen, wenn die Fed die allseits um sich greifenden Kreditklemmen in den Segmenten Privatkonsum und Unternehmensfinanzierung bekämpft. Aber durch Ausweitung des Konsumangebots entsteht noch kein profitabel arbeitender Autokonzern. Durch Verringerung der Kreditzinsen übrigens auch nicht.
Binnen weniger Wochen stieg die Fed zum größten Commercial Paper-Investor auf und konnte den Markt ausstehender Schuldverschreibungen temporär leicht beruhigen. Besser gelang ihr der Stopp des Mittelabflusses aus den Geldmarktfonds und der Kauf von Mortgage Backed Securities ließ die Hypothekenzinsen schnell um 1 Prozent fallen. Erst mit den Jahren des QE-Programms und dem dadurch verursachten massiven Anstieg der Notenbankbilanz, die sich binnen eines Jahres fast verdoppelte, wurde auch der Renditeabstand zwischen langfristigen Hypothekenzinsen und Staatsanleihen deutlich geringer, gleichwohl der Spread wie auch das Zinsniveau noch einige Jahre relativ hoch blieben.
Die Finanzmärkte blieben unruhig und die Frage, ob alle diese Maßnahmen der Fed irgendwann die Kreditmärkte wieder beruhigen können und die Realwirtschaft wieder in Schwung kommt, blieb ungewiss in der Beantwortung. Das FOMC rechnete mit zwei bis drei Jahren und gab in ihren längerfristigen Prognosen zur Arbeitslosenquote, dem Wirtschaftswachstum und der Inflationsrate ein recht optimistisches Monitoring ab. Demnach hätte die Arbeitslosenquote 2011 bereits wieder nahe des angestrebten Vollbeschäftigungszieles von 5% liegen sollen.
Bei der Kennziffer Wirtschaftswachstum geriet die Fed fast schon ins Schwärmen ob der konjunkturbelebenden Maßnahmen ihrer Geldpolitik. Mit einem BIP-Zuwachs von +2,9 % in 2010 und sogar +4,4 % in 2011 vertrat die Notenbank die Einschätzung, dass das Wirtschaftswachstum nach dem Ende der Krise in kurzer Zeit wieder über den Potentialtrend von ca. 2,6 % hinaus nach oben schnellt; allein es kam anders.
Die
Inflationsrate zeigt ein beängstigendes Auf und Ab. Von fast 4%
fiel sie in einen deflationären Wert und schwankt seitdem Jahr
für Jahr. Eine konjunkturpolitisch stabilisierende Wirkung durch
die Fed-Programme kann man kaum daraus herauslesen.
Die Kennziffern zur
Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum und Inflationsrate werden als
Zielgrößen
der Geldpolitik gewertet, in den USA wie in Europa. Damit sind sie
das Herzstück aller Überlegungen, die Zielgrößen
für die Notenbankpolitik und ihre Legitimation; daran sei
erinnert, wenn über die Geld- und Fiskalpolitik der letzten
beiden Dekaden gesprochen wird. Wir wissen, die Programme zur
Versorgung der Finanzinstitute mit kurzfristiger Liquidität sind
als Voraussetzung zur Erreichung der Zielgrößen der
Geldpolitik zu bewerten. Das kann Notenbankpolitik immer, gehört
zu ihrem Kerngeschäft.
Bei dem zweiten Maßnahmenpaket
zur Versorgung wichtiger Kreditmärkte mit Liquidität, die
den Geldtransfer in die Realwirtschaft ermöglichen soll, sieht
es im Ergebnis wesentlich schlechter aus. Alle drei Parameter:
Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum und Inflationsrate zeitigten
nicht die gewünschten Effekte und man darf fragen, wenn derart
massiv in die Märkte eingegriffen wird und die gewünschten
Effekte ausbleiben, ob dann noch der vorgestellte Zusammenhang
zwischen Geldpolitik und Realwirtschaft besteht?
Weil die Zielgrößen der Kennziffern binnen zwei bis drei Jahren in den USA nicht erreicht wurden, beschloss die Fed ein drittes Maßnahmenpakt, welches wie das zweite ebenfalls zur unmittelbaren Unterstützung der Kreditmärkte erdacht worden war. Damals ging die Fed noch davon aus, dass die Krise im Kern eine Krise auf dem Immobilienmarkt sei und beschloß als Gegenmaßnahme steigender Hypothekenzinsen den Kauf von USD Anleihen der staatlichen Hypothekenfinanzierer im Umfang von 100 Mrd. USD und im Umfang von 500 Mrd. USD Mortgage Backed Securities dieser Institute.
Fokussieren
wir hier also auf die Kennziffer der Hypothekenzinsen, dann stellt
sich die Frage: konnten diese Zinsen auf ein Niveau gesteuert werden,
dass man von einem ’normalen‘ Immobiliensektor wieder
sprechen konnte?
Wir wissen heute, dass alle Maßnahmen der
Fed zusammengenommen nicht die beabsichtigten Effekte hatten. Als
letztes Mittel und als ‚lender of last resort‘ musste die
Fed schließlich das berühmt gewordene QE-Programm
auflegen, bei dem sie vor allem Staatsschulden durch
hypothekenbesicherte Anleihen in ihre Bilanzen nahm.
Ein kurzer Blick auf den Immobilienmarkt soll die Frage verdeutlichen, ob die Maßnahmen zur Stabilisierung dieses Marktsegmentes als geglückt angesehen werden dürfen. Dieser Markt ist insofern für die amerikanische Wirtschaft von großer Bedeutung, weil das eigene Heim traditionell jenseits des Atlantiks das Kernelement für die Vermögensbildung der Amerikaner ist. Und weil der Immobiliensektor direkt mit dem Konsumsektor verbunden ist, weil die Häuserpreise umgekehrt reziprok das Konsumverhalten der Amerikaner beeinflusst; steigen die Häuserpreise, sinken die Konsumausgaben. Und weil die amerikanische Wirtschaft zu fast zwei Drittel vom privaten Konsum abhängt, sind Trends im Immobiliensektor so wichtig für die Geld- und Wirtschaftspolitik der USA.
Wir haben aufgeführt, dass der amerikanische Häusermarkt vor zehn Jahren im Mittelpunkt der globalen Finanzkrise stand, deren Auslöser er gewissermaßen war. Fallende Häuserpreise waren nach einer spekulativen Aufschwungphase durch die Subprime-Krise der Auslöser einer schweren Rezession gewesen. Genauer rekapituliert war die Refinanzierung der US-Hypothekenkredite auf den internationalen Finanzmärkten, die in Form von Kreditverbriefungen stattfand, so sehr in Risikoverwerfungen geraten, dass die Subprime-Krise ab Mitte 2007 auch die Finanzmärkte anderer Industrieländer erreichte und darüber in der Folgezeit eine weltweite Finanzkrise und Konjunkturkrise auslöste.
Die Immobilienpreise in den USA befinden sich nun schon bereits seit dem Jahr 2012 wieder im Aufschwung und haben nominal das Rekordniveau des Jahres 2006, also kurz vor Ausbruch der Subprime-Krise erreicht. Unter Berücksichtigung der Inflation haben sich die Häuserpreise allerdings nur in wenigen Ballungszentren wie Dallas oder Seattle vollständig erholt und sich sonst aber quasi umgekehrt zu den damals politischen Absichten entwickelt. Hießen die politischen Vorgaben vor 2007 noch Häuser zu erschwinglichen Preisen für ‚alle‘ Amerikaner und zur privaten Wohlfahrtsfürsorge zu ermöglichen, sehen wir heute einen geradezu gegensätzlichen Trend auf dem Immobiliensektor.
Immobilien
werden vor allem in den Regionen weniger erschwinglich, wo die Preise
in den letzten zehn bis zwanzig Jahren überdurchschnittlich
stark gestiegen waren. Im Ballungsraum Las Vegas hatten sich die
Häuserpreise
laut Case-Shiller-Index im Juli 2018 gegenüber dem Vorjahr um
fast 14 Prozent verteuert wie auch die Preise in den Metropolen
Seattle und San Francisco prozentual im zweistelligen Bereich
anstiegen; in Seattle z. B. um 12,1 Prozent, in San Francisco um 10,8
Prozent.
Der Preisauftrieb wird in diesen beiden Ballungszentren
stark durch die hier ansässige Technologiebranche getrieben.
Seattle ist der Standort von Microsoft und Amazon. Im Ballungsraum
San Francisco befinden sich u.a. die Zentralen von Apple, Alphabet
(Google) und Facebook.
Im Gegensatz zu Seattle und San Francisco haben die Häuserpreise in Las Vegas noch nicht wieder das nominale Vorkrisenniveau erreicht. Las Vegas gehörte zu den Regionen, in denen die Häuserpreise mit der Subprime-Krise besonders stark eingebrochen waren wurde nicht zu Unrecht als Ground Zero der Häuserkrise genannt. Heute ist Las Vegas der Ort, an dem der Stand der Erholung und deren Bruchstellen deutlich sichtbar werden. Allein in der Vorstadt North Las Vegas wurden von 23.000 Einfamilienhäusern in den Jahren seit 2006 mehr als 7500, also rund dreißig Prozent zwangsvollstreckt.
Mit dem
Erfolg der New Technology- und Plattform-Unternehmen wächst auch
die regionale Wirtschaft insgesamt und zieht weitere, neue
Unternehmen in die Region. Amazon eröffnet zwei große
Vertriebszentren und plant einen dritten Standort. Das
Kosmetikunternehmen Sephora expandiert in die Region und andere tuen
es ihm gleich. Das hat dazu geführt, dass North Las Vegas mit
seinen 250.000 Einwohnern als eine der am schnellsten wachsenden
Städte des Landes gilt. Hier wie in den tausend anderen
Boom-Areas der USA vollzieht sich aber etwas, was man als eine Art
sanfter Enteignung vor allem des voll erwerbstätigen und gut
ausgebildeten Mittelstand bezeichnen muss.
Viele Erwerbstätige
verdienen zwar relativ mehr also jemals zuvor, können sich aber
dort kein Eigenheim mehr leisten. In North Las Vegas wie in den
Metropolen San Francisco, Los Angeles, New York City usw. stehen fast
die Hälfte der Einfamilienhäuser nicht mehr im Eigentum,
sondern im Mietverhältnis. Vor zehn Jahren war es nur ein
Drittel gewesen. Die Wirtschaft boomt aber für die Menschen ist
es zunehmend schwerer, selbst bei steigenden Löhnen sich ein
Haus in Las Vegas oder einer der anderen Boom-Regionen zu kaufen; die
Leute verdienen einfach nicht genug Geld dafür.
Und was hat
dann das ganze QE-Programm inklusive dessen Vorläufer-Pakte
gebracht? Ziel war es, die US-Wirtschaft aus der Krise zu holen und
die Arbeitslosigkeit zu senken. Dazu senkte die Fed die Leitzinsen
auf nahe Null. Das Wachstum (BIP) liegt natürlich nominell über
dem der Vorkrisenzeit, aber bei weiten nicht da, wo es eigentlich
liegen müsste, nämlich über den Vorkrisentrend, den
hat das BIP-Wachstum noch nicht erreicht.
Die Arbeitslosenquote
ist zwar deutlich gesunken und hat auch die Zielgröße >
5% erreicht. Aber das kommt hauptsächlich daher, weil viele
Erwerbstätige aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden sind; das
erkennt man unschwer daran, dass der Anteil der Erwerbstätigen
an der US-Bevölkerung gesunken ist, in manchen
Wirtschaftssektoren wie etwa der Industrie sogar deutlich.
Betrachtet
man den Immobiliensektor nur aus der Sicht der Hypothekenzinsen, dann
hat die US-Geldpolitik bedingt ihr Ziel erreicht; tiefere Zinsen
sollten es den Schuldnern erleichtern, ihre Schulden zu bedienen.
Einher damit geht aber ein Eingriff in die marktwirtschaftlichen
Prozesse, insofern eine groß angelegte Umverteilung
stattgefunden hat, bei der sich die Bürger immer mehr
verschuldet haben und nun in einem Zwillingsdefizit
gefangen sind. Die Stabilisierung des Immobiliensektors gelang ja nur
durch öffentlich Schulden, die letztlich die Schulden der Bürger
dieser und der nächsten Generation(en) sind.
Die Bilanz der Fed stieg dabei auf eine Summe von 4,5 Billionen USD und wird voraussichtlich Anfang 2020 noch 3,5 Billionen USD betragen. Im Vergleich zur Vorkrisenzeit ist das immer noch gigantisch. Vor Beginn der Finanzkrise lag die Bilanzsumme bei weniger als 1 Billion USD und der Bilanztrend verhielt sich ziemlich unspektakulär und wuchs einfach gemütlich und sehr vorhersehbar vor sich hin, bis das QE-Programm die Bilanz geradezu mit Wertpapieren vollgestopft hat5. In der Wirtschaft verteilt sich das auf Geld in Umlauf (inkl. Reverse Repurchase Vereinbarungen und Geldbeständen des Staates) und Überschussreserven der Banken. Die Menge Geld, die sich im Umlauf befindet, ist seit der Krise um 1,6 Billion gestiegen. Allein deswegen wird die Fed-Bilanz nicht wieder auf 1 Billion USD zurückgehen.
Bereits seit zwei Jahren machen die Amerikaner wieder frische Schulden zur Häuserfinanzierung. Die Maßnahmen der Fed haben das Deleveraging gestoppt, so die offizielle Lesart der US-Regierung, allein, glauben muss man es nicht, im Gegenteil. Überall auf der Welt sind die Schulden gewachsen, einmal abgesehen von Großbritannien und Deutschland. Beziehen wir diesen Ausdruck auf die Immobilienschulden, dann darf man feststellen, dass die in den USA stark schwankenden Zinsen für Hypotheken ihren Schwankungsgrad verringert haben, was durchaus den Schuldnern zugutegekommen ist, also denen, die heute überhaupt noch den Schritt zu einem Immobilienerwerb gehen. Insgesamt aber musss man festhalten, dass die Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise zwar zu einem steigenden BIP und zu steigenden Löhnen und Gehältern geführt hat, zugleich aber die Preise für Hypotheken in den Metropolregionen und den angrenzenden im Umkreis einer zumutbaren Fahrtzeit von etwa einer bis eineinhalb Stunden einfachen Fahrt zur Arbeit sogar überproportional gegenüber der Vorkrisenzeit angestiegen sind.
Die Zunahme
der Staatsschulden führt eben nicht notwendig dazu, dass nach
einer Rezession mit einem temporären BIP-Einbruch die
Output-Lücke einfach wieder geschlossen wird, die Wirtschaft zu
Wachstumsraten wie vor der Krise zurückkehrt und die Preise sich
wie vor der Krise an das Wirtschaftswachstum angleichen.
Beim
zweiten Wirkmechanismus, den Vermögenswerten, kann man mehr als
deutlich feststellen, dass alle Maßnahmen der Fed die
asymmetrische Struktur der Vermögensverteilung noch befeuert
haben. Der Wohlstand in den USA ist stark angewachsen, aber hat sich
nicht breiter verteilt und schon gar zu Wohlfahrtseffekten geführt,
die aber im amerikanischen Modell grundsätzlich strukturell
nicht auf breite Empfängerschichten angelegt sind. Die Politik
des „billigen Geldes“ hat somit nicht zu einer breiten
Erhöhung der Kaufkraft geführt, allenfalls konnte man den
angestrebten Nachfrageeffekt in den hochpreisigen Luxussegmenten
verzeichnen.
Bei einer der für die Wirtschaft wichtigsten Kennziffern, der Inflationsrate, haben die Maßnahmen der Fed keine der gewünschten Wirkungen gezeitigt. In den Jahren zwischen 2011 und 2016 drohten sogar deflationistische Tendenzen und trotz massiver Bilanzausweitung waren die Inflationsraten in dieser Zeit stark rückläufig. 2015 drohte eine Deflation und ließ die Fed nochmals massivst eingreifen, was Bernanke bereits im Jahr 2003 angekündigt hatte, nämlich eine deflationäre Krise wie in Japan nicht zulassen zu wollen. In diesem Jahr entstand das berühmt gewordenen Helikoptergeld, welches die Fed herabregnen ließ.
Im Jahr 2017 erreichte die Inflation endlich den gewünschten Wert von 2,14 Prozent, stieg aber von da weiter und hat 2018 bereits wieder 2,44 Prozent erreicht. Es wäre nicht gerade verwegen zu behaupten, dass sie sich der aus Krisenzeiten wieder annähern könnte. In der Inflationsrate sehen die US-Ökonomen vor allem die Lohnentwicklung eingekapselt, die Lohnentwicklung spielt daher eine entscheidende Rolle für die Geldpolitik der Fed, weil Lohnsteigerungen großen Einfluss auf die Inflation haben. Und richtig, im Jahresvergleich zu 2017 stiegen die Löhne im Oktober um 3,1 Prozent und legten sogar im Dezember noch einmal zu. Damit ist der Anstieg der stärkste seit dem Jahr 2009. Dennoch bleiben die Lohnzuwächse geringer als in vorherigen konjunkturellen Aufschwungphasen und seit zwei Monaten verzeichnet der Arbeitsmarkt sogar leichte Zuwächse an Arbeitslosigkeit. Alles also nur ein Strohfeuer?
Die Grundlage für die Fed-Programme war letztlich im japanischen Modell gefunden worden. Japan hat gewissermaßen QE erfunden und in den vergangenen Jahrzehnten angewendet. Die Wirkungen in Japan blieben aber aus und in der amerikanischen Fed war man der Meinung, die Ursachen für die ausgebliebenen Wirkungen auf Inflation und Arbeitsmarkt erdacht zu haben: QE muss früher und viel konsequenter angewandt werden, um Wachstum erzeugen zu können. Es ist schon nahe an der Hybris zu meinen, ein Direktorium oder Komitee von Bankern wäre in der Lage, mit dem simplen Instrument einer Gelddruckpresse auch nur nationale Wirtschaftsprozesse nachhaltig beeinflussen zu können. Was sie beeinflussen ist eine Umverteilung von privaten zu öffentlichen zu privaten Schulden, eine sanfte Enteignung bürgerlichen Wohlstands und eine Verringerung der nationalen Wohlfahrt. Auf die Zusammenhänge mit weltwirtschaftlichen Vorgängen kommen wir zurück. Bislang aber müssen wir feststellen, dass die Fed bei der Schuldenkrise in den USA deutlich schneller und deutlich aggressiver vorgegangen ist und Japan nun seinerseits diesem Vorgehen folgt, wenngleich ebenfalls und erneut ohne nachhaltigen Erfolg.
Jeder
Hobbygärtner weiß sehr schnell, dass er die Spritzrichtung
seines Bewässerungsschlauches im Garten dadurch nicht bestimmen
kann, wenn er den Wasserhahn voll aufdreht. Um bei diesem Bild zu
bleiben; die Fed hat mit ihrer Geldpolitik des leichten Geldes, also
ihrer Niedrigzinspolitik geglaubt, sie könnte damit die
Geldmenge und die Kreditvergabe steuern; allein, es kam anders.
Was
die Fed erreicht hat war zweifellos eine Erhöhung der Geldmenge
auf indirektem Wege, insofern sie die Kreditvergabe über Zins
und Steuerung der Mindestreserve sowie eine implizite Staatsgarantie
auf zukünftige Schulden beeinflusst hat. Die Folge dieser
Niedrigzinspolitik aber war eben nicht die Erhöhung der
Geldumlaufgeschwindigkeit so, dass von einer Erholung auf den
Kreditmärkten die Rede sein konnte. Der sog. Money Multipier,
der die Differenz zwischen der Zentralbankgeldmenge und dem
Kreditvolumen an die Realwirtschaft misst, lag im Jahr 2014 bei etwa
3.0 gegenüber einem Vorkrisenwert von über 9. Heute liegt
dieser Faktor bei 4,5 und hat historisch betrachtet den Wert
erreicht, der im Jahr 1940 zur Zeit der großen Depression
gemessen worden ist.
Wo ist es hin, das liebe Geld? Denn eins sagt bei allem nötigen Zweifel am Sachverhalt der Money Multiplier doch aus: das Zentralbankgeld kam nicht dort an, wo man es haben wollte, nämlich in der Realwirtschaft. Es gibt eben keinen Automatismus zwischen dem Aufkauf von Asstes von den Geschäftsbanken durch die Zentralbank und einer verbesserten Kreditvergabe an die Realwirtschaft durch die Geschäftsbanken. Zwingen dazu kann die Fed die Institute nicht, und auch nicht verhindern anscheinend, dass diese die zusätzliche Liquidität nicht zur Kreditvergabe verwenden, sondern Reserven halten und auf eigene Rechnung an den Finanzmärkten spekulieren. Und wenn in Europa die EZB einen negativen Zins auf Reserven der Banken einführen musste, entsprang dies übrigens der gleichen Erfahrung und Notlage, wie es in den USA vorher erfahren werden musste.
Eine schwierige Frage in diesem Zusammenhang ist die Kennziffer Inflation noch aus einem anderen Blickwinkel her betrachtet. Notenbankpolitik richtet sich indirekte gegen eine Deflationsgefahr. Notenbanken gehen davon aus, dass mit einer Erholung der Zinsen nach einer Krise sich eine Investitionstätigkeit in der Realwirtschaft eingestellt hat, die den nun höheren Zins durch einen höheren Output, durch eine Mehr-Produktion erwirtschaftet. Das ist generell richtig, aber entspricht diese Vorstellung heute auch noch den Tatsachen? Anscheinend nicht. Jedenfalls nicht in dieser geistig grobmotorischen, undifferenzierten Berechnungsart. Die kommt aus der monetaristischen Auffassung, mit ihrer Geldmengentheorie sogleich auch die Richtungen, die die Geldflüsse einschlagen sollen, beeinflussen zu können. Aber Wasser fließt nun mal nicht den Berg hinauf. Wenn es Bankinstituten zu riskant ist, mit anderen Banken Handel zu treiben, wenn es ihnen zu riskant ist, Geld an die Realwirtschaft zu verleihen aber weniger riskant, an den Finanzmärkten Geld anzulegen, dann werden sie wie all auch den Weg des geringsten Risikos einschlagen und das Geld, das bei ihnen anlandet eben dafür einsetzen.
Was die Fed
beabsichtigte, ist also nicht eingetreten. Geld floss nicht in die
Realwirtschaft, es floss sogar aus dieser ab. Gefördert durch
Fiskal- bzw. Machtpolitik, haben die US-Unternehmen die Wahlgeschenke
der Steuerreform dafür benutzt, höhere Renditen an die
Kapitalgeber auszuschütten und Aktienrückkaufprogramme zu
starten. Höhere Rendite führen zu vermehrten
Kapitalzuflüssen, Aktienrückkaufprogramme entziehen den
Firmen Kapital und erhöhen sogar die Verschuldung, so sie auf
Krediten basieren, wie die meisten bei der anhaltenden
Niedrigzinspolitik.
Manche Autoren meinen, Innovationen und
technischer Fortschritt fördern deflationäre Tendenzen, als
beide als verlangsamtes bzw. negative Wirtschaftswachstum gedacht
werden müssten; welch ein Unsinn. Es bringt nichts, sich mit
solchen Autoren auch noch mit Zitaten auseinanderzusetzen. Das
Gegenteil ist der Fall, technologische Innovationen befördern
qua Erhöhung der betrieblichen Ausgaben resp. Investitionen die
Kreditvergabe und somit die Geldschöpfung M1. Die
Niedrigzinspolitik wollte eben diesen Faktor stärken, was ihr
aber nicht in dem Umfang gelang, wie beabsichtigt.
Es erleichtert,
aber bedingt nicht mehr die Investitionstätigkeit in der
Realwirtschaft, wenn Geld im Überfluss vorhanden ist, allein.
Die Absicht zur Investition ist neben vielen anderen auch die
Steigerung der Produktivität, vor allem bei Überlegungen
für technische und technologische Innovationen. Dabei sind heute
technische kaum noch von technologischen Innovationen zu
unterscheiden, da z.B. der gesamte Bereich der Automatisierung ohne
digitale Steuerung kaum vorstellbar geworden ist.
Wenn wir heute in den USA insgesamt von einer gestiegenen investitionsrate sprechen, müssen wir bedenken, dass die US-Binnen-Investitionen überwiegend öffentliche Investitionen in Infrastruktur u.a. Segmente betreffen, aber die meisten der ausländischen Investitionen aus Kanada stammen und vierzig Prozent der ausländischen Gesamtinvestitionen aus der EU, allen voran Deutschland stammen. Dafür hat aber nicht die Fed-Politik gesorgt, sondern Trumps „America First“ Politik und seine massive Steuersenkung.
Die Intervention der Fed (und anderer Notenbanken weltweit) war motiviert vielleicht, eine Kernschmelze im US-Finanz- und Wirtschaftssystem mit Infektion globaler Wirtschaftsprozesse zu verhindern. Aber was waren die wirklichen Effekte dieser Politik, neben der Rettung einer großer Privatinstituten im Geldmarkt? Viele, einige Hundert haben den Turn-around nicht geschafft, trotz massiver Unterstützung und wurden abgewickelt. Das mag man als eine Konsolidierung ansehen, aber die hätte der Markt aus sich selbst heraus effektiver erledigt. Die Effekte auf den Arbeitsmärkten wären vielleicht nicht anders gewesen, also ohne die Notenbankintervention, aber ein Effekt bleibt in allen Überlegungen wie ein Damoklesschwert erhalten: die weltweite Verschuldung.
Die weltweite Verschuldung ist enorm angestiegen in den letzten zehn Jahren. Im Jahr 2017 hat die globale Verschuldung ein historisches Hoch von 184 Bio. USD erreicht, das entspricht 225% des globalen Bruttoinlandproduktes (BIP). Rein rechnerisch beträgt die Verschuldung pro Kopf der Weltbevölkerung mit 86 000 USD mehr als das Zweieinhalbfache des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens. Seit 2009 hat der Verschuldungsgrad laut IWF um 11 Prozentpunkte zugenommen.
Und daran war laut IWF maßgeblich die Politik der Notenbanken, allen voran der Fed, beteiligt. Eine der Auswirkungen war, dass durch ihren Niedrigzinspolitik die Investoren in immer risikoreichere Anlagen gedrängt worden sind – wie übrigens die privaten Haushalte in Immobilienerwerb und höhere Konsumausgaben, vor allem höhere Mietausgaben. Die US-Notenbank hielt zur Überwindung der Finanzkrise die geldpolitischen Zügel extrem locker und finanzierte und erleichterte so den Ausbau der Verschuldung erheblich. Nun fällt sie mit der Normalisierung ihrer Geldpolitik als einer der wichtigsten Käufer mehr und mehr aus und dies gilt ebenso für die Notenbanken der Euro-Zone, Chinas und Japans, deren Bilanzwachstum allesamt ins Negative tendieren.
Wir kommen
also aus einer Phase der sog. quantitativen Erleichterung bzw.
Lockerung in eine Phase quantitativer
Straffung; rein technische Ausdrücke für etwas, was auf den
Finanz- und Kapitalmärkten aber zu höchst konkreten
Veränderungen führt. Die erste Veränderung war eine
drastisch gestiegene Volatilität an den Finanzmärkten, zwar
noch keine Turbulenzen, aber durchaus mehr als nur Nervosität.
Die ist deshalb zu beachten, da sie unmittelbar mit
Direktinvestitionen zusammenhängt.
Wenn Direktinvestitionen
in hohem Maße das Ergebnis der Risikobereitschaft privater
Kapitalgeber einschließt, dass also in betriebliche
Investitionen fließendes Privateigentum betroffen ist, ist eine
hohe Nervosität bzw. Volatilität dem nicht förderlich.
Schon die
quantitative Lockerung hatte heftige Verzerrungen der Märkte zur
Folge und eine der wichtigsten Negativfolgen war und ist bis heute
der Abbau der Markt Diversität. Durch das QE-Programm der
Notenbanken sind praktisch alle Anlagestrategien nicht nur mit
höheren Risiken und höherer Volatilität konfrontiert,
sondern mit alternativlos vergleichbaren Risiken affiziert. Diese
Gesamtansteckung aller Anlageklassen und -strategien mit
vergleichbarer Risikostruktur macht die Märkte insgesamt nicht
nur nervöser, sondern auch tatsächlich sensibel gegenüber
auch nur kleinsten Veränderungen. Diese Veränderungen aber
betreffen nicht mehr wie vor der Krise einen Markt oder eine Klasse
von Anlagen, sondern das gesamte Makro-Umfeld.
Die
Notenbank-Politik hat wie ein Krebsgeschwür nun gestreut und den
gesamten Finanzmarkt weltweit metastasiert. Besonders unruhigen
Zeiten sieht der Markt für Unternehmensanleihen entgegen, wobei
selbst Anleihen mit Investment-Grade-Bonität in Schwierigkeiten
geraten können. Das ist einer der Effekte, wenn jahrelang die
US-Gelpolitik die Zinsen auf untersten Niveaus hält und damit
den Unternehmen jeden Anreiz verschafft, sich zu verschulden. Das
wird natürlich kein Chef der US-Notenbank jemals so benennen,
trotzdem stimmt das. Und diese von der Feb beförderte
Verschuldung hat derzeit so ein Allzeithoch erreicht und übertrifft
die Spitzen von 2008/09, 2001 und 1990, die alle von Rezessionen
begleitet worden sind.
Wäre die
Niedrigzinsphase wirklich für Investitionen in Sachwerte und
Prozessoptimierungen in der Realwirtschaft verwendet worden, wären
zwar die Schulden auch gestiegen, aber eben dort, wo man sie gerne
wachsen sieht.
Viele der aufgenommenen Kredite sind aber nicht
produktiv für Investitionen eingesetzt worden, sondern dienten,
wie gesagt, häufig der Finanzierung von Aktienrückkäufen,
deren Effekt eine Verschlechterung der Eigenkapitalbasis ist. Den
Aktienmarkt haben die sog. Buy-backs immer dünner und riskanter
gemacht, so sehr, dass man dieses Segment des Kapitalmarkts
mittlerweile in vergleichbar riskanteste Tranchen von Collateralized
Debt Obligations (CDO) im Kapitalmarkt setzen kann.
Einmal mehr erkennt man in solch einer Phase, wie sehr die Änderung des Blickwinkels die Dinge in einem neuen Licht erscheinen lassen können. Nicht so sehr gibt der Blick auf die Gewinnentwicklung eines Unternehmens den tatsächlichen Zustand des Unternehmens Preis, sondern ein Blick auf den Zustand seiner Bilanz. Darin sieht man die Duration seiner Anleihegeschäfte und so ist auch unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Investment-Grade-Anleihen in den USA einzubedenken, dass diese zu zwei Drittel bis zum Jahr 2023 entweder zurückbezahlt werden müssen oder Anschluss- bzw. Refinanzierungskonzepte erwarten in einem Umfang von etwa 600 Mrd. USD pro Jahr. Und dabei sind die High-Yield-Anleihen noch gar nicht mitgerechnet, die im gleichen Zeitraum zu etwa 45% ihrer Anlagesumme fällig gestellt werden.
Wie wir
bereits ausgeführt haben, richteten sich Unternehmen auf der
verzweifelten Suche nach Rendite in den vergangenen Jahren auch an
den Markt der sog. Ramschanleihen. Die Niedrigzinspolitik der Fed
brachte Papiere von Unternehmen, die aufgrund einer schlechteren
Kreditwürdigkeit höher verzinst sind, in den Anlegerfokus
und gingen weg wie warme Semmeln.
Der Schritt in höhere
Risikoklassen kommt aber irgendwann in eine Revision, allen voran in
den USA, wo der drastische Ölpreisverfall den Unternehmen im
Energiesektor arg zu schaffen macht. Da gerade viele US-Öl- und
Gasfirmen am so genannten High-Yield-Markt ihre Bonds im Umlauf
haben, richten sich die Märkte gerade auf steigende Ausfallraten
ein.
Auch dieser
Risikokonnex wird notorisch von der Fed geleugnet, wie auch ein
anderer, noch viel weitreichender Zusammenhang, der zwischen
US-Geldpolitik und Weltwirtschaft7 .
Im Diskurs über die Frage nach dem derzeitigen Rückgang des
Weltwirtschaftswachstum wird in den USA notorisch auf die Situation
im US-Handel hingewiesen. Das US-Defizit sei ein Ergebnis unlauterer
Handelspolitik, die in China auf einer irregulären Währung
und in anderen Ländern auf irreguläre Exportvorteile
beruht; wir haben ausführlich dazu gehandelt. Selten genug, aber
doch existent, sind andere Auffassungen von profunder Kenntnis über
die wechselseitige Abhängigkeit der konjunkturellen Schwankungen
in Entwicklungs- und Schwellenländer von der amerikanischen
Geldpolitik. Hier findet sozusagen die sanfte Enteignung statt, von
der die US-Notenbank insgesamt und auch in den District-Notenbanken
natürlich ungern gesprochen wird.
„Unser Mandat, unsere
Aufgaben beziehen sich auf die USA“, so der Präsident der
regionalen Fed von Chicago, Charles Evans, ganz unverblümt jeden
Zusammenhang leugnend, als der indische Notenbankchef bereits im Jahr
2014 einen solchen Negativeffekt für sein Land aber auch alle
anderen Schwellen- und Entwicklungsländer beklagte.
Ulrich Volz, Experte für
internationalen Kapitalverkehr, der an der SOAS University in London
lehrt und am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik forscht,
konstatierte: „Die Zinspolitik der Fed hat maßgeblichen
Einfluss auf Rohstoffpreise und internationale Kapitalflüsse.“
[…] „Als Bernanke 2013 den Ausstieg der Fed aus der
expansiven Geldpolitik ankündigte, führte das zu
erheblichen Verwerfungen in Schwellenländern.“
Was Volz
konstatiert ist eigentlich kaum noch zu leugnen oder nur noch als
Statement einer Politischen Ökonomie zu betrachten, die die
Negativeffekte ihres eignen Verhaltens strikt zu leugnen versucht, um
ihren machtpolitischen Interessen Geltung zu verschaffen. Denn was
jeder deutlich sehen konnte, war, Kapital floss in erheblichem Ausmaß
aus den Schwellenländern ab, deren Währungen gaben stark
nach und die Inflation zog an. Dieser ewige Dreiklang ist natürlich
eine Auswirkung der US-Notenbank, tritt der doch regelmäßig
dann ein, wenn diese die Umlaufgeschwindigkeit
der Dollarwährung abbremst, indem sie aus der expansiven in eine
straffende Geldpolitik übergeht und per Saldo weniger
Wertpapiere auf den Kapitalmärkten aufkauft und zudem ihre
Leitzinsen erhöht, wie geschehen von nahe null auf 2,25 Prozent.
Vielleicht
ist es dem Einfluss der US-Regierung auf die Notenbankpolitik
verdankt, dass erste, anderslautende Stimmen aus den Reihen der
District-Notenbanken lauter werden wie die von Falk Bräuning von
der Federal Reserve in Boston, der in einem Beitrag mit
Harvard-Ökonomin Victoria Ivashina nachweist erscheint, dass
Powell den Einfluss der US-Geldpolitik deutlich zu niedrig ansetzt.
Sie stellen fest, dass über 50
Prozent der Kredite ausländischer Banken an Unternehmen in
ärmeren Ländern in Dollar denominiert sind.
„For
emerging market economies (EMEs), foreign bank loans are by far the
most important category of cross-border capital flows, and they are
denominated primarily in U.S. dollars. As of 2015, International
Monetary Fund (IMF) data indicate that loans represent about half of
all external liabilities of emerging market countries.“8
In
dieser Studie, die die Auswirkungen der US-Notenbankpolitik auf 119
Länder zwischen dem ersten Quartal 1990 und dem dritten Quartal
2016 untersucht, wird nicht nur der generelle Einfluss konstatiert:
…“we show that U.S. monetary policy easing is associated
with a general increase in cross-border loan volumes by global banks
from developed countries“, sondern dass selbst Bankkredite in
europäischen Schwellenländer überwiegend in Dollar
denominiert und somit direkt an den US-Leitzins gekoppelt sind.
Häring
weist klärend darauf hin, dass in der o.g. Untersuchung durch
die Blickrichtung auf spezifische Kreditflüsse zwischen
„spezifischen Banken an spezifische Unternehmen in den
Entwicklungs- und Schwellenländern“ ein fundamentaler
Verschleierungseffekt, der entsteht, wenn hochaggregierte Länderdaten
verwendet werden, aufgedeckt werden kann.
„Denn wenn
Rohstoffunternehmen bei steigenden Rohstoffpreisen mehr Kredit
bekommen, dann wird das als „Unternehmenseffekt“
ausgesondert und nicht der US-Geldpolitik zugeschrieben“.
So
versteckt sich Politische Ökonomie hinter dem Schleier
wechselnder Blickrichtungen auf Unternehmens- und Notenbankbilanzen.
Bilanzen hatte nie den Sinn, eine Beziehung zwischen
unterschiedlichen Bilanztypen herzustellen, sondern wollten ganz im
Gegenteil das jeweils Spezifische einer Bilanz, einer
Geschäftstätigkeit en Detail dokumentieren.
Bilanzübergreifend kann man das „Datenleck“, welches
wir strukturell ähnlich mit den Target2-Salden etwas weiter
hinten erneut besprechen werden, mit einer Gesamtsumme von sieben
Billionen USD an grenzüberschreitende Kreditvolumen an Lände,
die über den Dollar an den US-Leitzins gebunden sind, beziffern;
kein Trinkgeld also.
Brauning und Ivashina kommen zu der Schlussfolgerung, dass die US-Leitzinserhöhung um zwei Prozentpunkte einen Einfluss auf die Realwirtschaft über die grenzüberschreitenden Dollarkredite ausmacht, der bei einer Verringerung der Kreditvergabe um etwa 16 Prozent liegen dürfte. Die Änderung der US-Leitzinspolitik führt demnach in diesen Ländern zu einer Vollbremsung in der Realwirtschaft, selbst in den Ländern der Eurozone, die als Emerging Markets bezeichnet werden müssen. Und die Studie stellt den Gedanken in den Raum, dass es durchaus berechtigt sein kann davon zu sprechen, dass es diese Negativeffekte der US-Notenbank selbst auf den Euroraum gibt und damit neben dem Einfluss der EZB betrachtet werden müssen. Den Einfluss aus Amerika zu leugnen würde davon ausgehen, dass der Einfluss der EZB auf den Euroraum derart umfassend ist, dass man von einer autonomen, auf den Euro als Wirtschaftsraum bezogenen Geldpolitik sprechen müsste; das aber ist aus vielerlei Hinsicht Unfug, würde man doch allein schon die Tatsache verkennen, dass die EZB-Politik sich im Schlepptau der Fed-Politik entwickelt hat.
Es bleibt also wahrscheinlich bei der Betrachtung, dass ein sog. „Sudden Stopp“, bei dem Kapital, besonders kurzfristig angelegtes, ausländisches Kapital das Land wieder verlässt die Ursache dafür in der Notenbankpolitik sowohl der heimischen wie der amerikanischen suchen sollte. Wir sprechen an dieser Stelle nicht von Kapitalflucht, die heimisches Kapital betrifft und durch Kapitalverkehrskontrollen im Land gehalten werden kann. Bei ausländischen Kapitalien verhält es sich anders, da kommen Regierungen bzw. Notenbanken in ein weiteres Dilemma, nämlich einerseits, um diese ausländischen Kapitalien im Land zu halten, auf starke Zinserhöhungen hinwirken zu müssen, was andererseits aber das Risiko in sich birgt, einen beginnenden oder andauernden Aufschwung im Vorfeld eines spekulativen Abschwungs zusätzlich noch abzuwürgen. Ein Beispiel für den ersteren Teil des Dilemmas kann man aktuell in der Politik der türkischen Regierung erkennen, die mit einer Inflation von über 20 Prozent den Kapitalabfluss verhindern will, den anderen Aspekt des Dilemmas Politischer Ökonomie in Griechenland, wo eine moderate, aber nicht durch den Markt begründete Inflationsrate zusätzlich zur Kapitalflucht auch das ausländische Anlagekapital durch ein hohes Risiko bei gleichzeitig geringer Rendite aus der Realwirtschaft vertrieben hat; außer chinesische Kapital, aber das hat strategische Gründe, die mit dem Aufbau der „neuen Seidenstraße“ zusammenhängen.
Erzwungener Zugang
Wir haben in den letzten beiden Jahrzehnten auf schmerzliche Art und Weise lernen müssen, dass Boomphasen nicht unbedingt wünschenswert sind. Die naive Lesart, wenn die Wirtschaftskennzahlen einen konjunkturellen Anstieg, ein Wachstum ausweisen, ist die Welt in Ordnung, ging in zweifacher Weise fehl. Erstens hat Wachstum mit Boomphasen wenig gemein und zweitens sind Boomphasen nicht selten Vorboten einer beginnenden Wirtschaftskrise. Dabei hat die Erfahrung gelehrt, dass Finanzkrisen sogar im Weltmaßstab aus Boomphasen am Immobilienmarkt entstehen können. Und dass sogar diese Krisen über die weltweit vernetzten Finanzmärkte auf andere als die Ursprungssegmente auf andere Segmente des Wirtschaftslebens wie auch auf ganze Volkswirtschaften im Ausland übergreifen können. Wenn die US-Regierung im Konzert mit den meisten District-Feds das hohe Lied der Nationalökonomie noch singen, dass die USA nur im Sinne der USA handeln und Probleme in anderen Volkswirtschaften nur dadurch entstehen, dass dortige Regierungen und Notenbanken autonom Fehler begehen, dann hat das in theoretischer Hinsicht echten, folkloristischen Charme. Weniger folkloristisch, dafür massiv protektionistisch darf das Lied verstanden werden und singt den wütenden Abgesang auf die liberale Marktwirtschaft, deren Untergang mehr als längst besiegelt, bereits im fortschreitenden Stadium einer Krankheit zum Tode ist.
Die Ethik der liberalen Marktwirtschaft, nicht ihr Poesiealbum, ist zugrunde gegangen in der Politischen Ökonomie nach amerikanischem Modell. Die liberale Marktwirtschaft basiert auf dem alle Marktteilnehmer verbindenden Prinzip der Effizienz. Ein effizienter Markt besteht auf dem Grundsatz der Skepsis gegenüber unendlichen Wachstums, auf dem Grundsatz der Vorsicht gegenüber der eigenen Hybris im Wettbewerb und dem Grundsatz der Sorgfalt im Umgang mit allen, am Wirtschaftskreislauf beteiligten Ressourcen. Skepsis, Vorsicht und Sorgfalt haben ein gemeinsames Bewusstsein, dass alle Ressourcen endlich sind und ein gemeinsames Ziel, diese knappen Ressourcen so effizient wie möglich auf unterschiedliche und mit einander rivalisierende Verwendungsmöglichkeiten zu verteilen. Der Einsatz von Finanzierungsressourcen will demnach zwar möglichst hohe Renditen, aber keine Überhitzung einzelner wirtschaftlicher Betätigungen, einzelner Wirtschaftssegmente oder gar ganzer Volkswirtschaften. Das ist die ethische Grundlage einer effizient funktionierenden Marktwirtschaft, bei der alle Beteiligten und alle eingesetzten Ressourcen ihre bestmögliche Verwendung im Wirtschaftskreislauf finden. Auf der Grundlage dieser Ethik gibt es keinen Boom.
Nur allzu oft wird
eine Boomphase der liberalen Marktwirtschaft als deren innerster Kern
selbst zugeschrieben; das ist Unsinn. Es sei die Gier der
Wirtschaftssubjekte, Menschen ohne Ethik, die dort am Werke sind und
zerstörerisch bis zum wirtschaftlichen Suizid jeden vernünftigen
Umgang mit den menschlichen, kulturellen und natürlichen
Ressourcen vermissen lassen. Die gibt es in der Tat, aber die sind
nicht die Repräsentanten liberaler Marktwirtschaft, sondern
gewissermaßen Ego Shooter des Wirtschaftsliberalismus‘.
Solche Ego Shooter haben wir im Zusammenhang mit der Politischen
Ökonomie der USA beispielhaft genannt. also die wesentlichen
Wirtschaftssubjekte, die den Immobilienboom mit der anschließenden
weltweiten Finanzkrise maßgeblich verursacht haben; das waren
die US-Präsidenten Clinton und Bush jr. und der damaligen
Notenbankchef Bernanke.
Jeder Boom ist bislang noch nach kurzer
Zeit geplatzt. Jede Boomphase hat den „Sudden Stopp“
erlebt. Das Platzen eine Boomphase, der Sudden Stopp, entsteht nur
dann, wenn diese Phase wirtschaftlichen Wachstums kreditgetrieben ist
bei sehr niedrigen Kreditzinsen. Es ist schwierig Boomphasen ganz
generell von Phasen sehr starken Wirtschaftswachstums abzugrenzen.
Leichter und mit mehr empirischer Fundierung fällt es,
Boomphasen im Immobiliensegment zu charakterisieren. Boomphasen
ziehen Kapital an. Geld wird in hohem Mengen zu Investivkapital, weil
Wachstum generell und in Segmenten mit sehr starkem Wachstum im
Besonderen hohe Renditen verspricht. Für den Immobiliensektor
gilt grundsätzlich das Gleiche, wie für alle anderen
Wirtschaftssektoren. Hier aber wirkt ein spekulatives Element direkt
im Investivkapital, welches die Vorstellung einer kurzfristigen
Wertsteigerung des Anlageobjekts befördert.
Dieses spekulative Element, welches man in den Aktienmärkten im Anstieg der Marktkapitalisierung der Aktie findet, wird für den Immobilienmarkt gespeist von den exponentiell nachfließenden Krediten, die, wenn dieser Prozess marktgerecht vonstatten ginge, relativ schnell zu einer Regulierung durch Zinserhöhungen führen würde. Dieser Mechanismus der Erzeugung kreditgetriebener Wertübertreibungen gilt auch für die Auswirkungen der europäischen Notenbankpolitik zwischen Volkswirtschaften.
Überhitzungen im grenzüberschreitenden
Kreditverkehr mit Gefahren von rasch einbrechenden Sudden Stopps
treten selten dann auf, wenn Kredite als Investitionen in neue
Produktionsstätten, neue Technologien, neue Märkte usw.
also in die Realwirtschaft fließen. Das Überangebot an
liquider Kreditmittel fließt aber über die Grenzen hinweg
auch in Wertpapiere und Immobilien, gleichwohl es Volkswirtschaften
erreicht, die an einer allgemeinen, konjunkturellen Schwäche und
an einer verringerten Wettbewerbsfähigkeit leiden.
Notenbanken
generell und speziell die EZB gründen ihre Zinsentscheidungen
auf der Grundlage monetärer Analysen und rechtfertigen ihre
Entscheidungen mit Daten zur Inflationsrate, dem Geldmengenwachstum
und der Kreditvergabe. Heute ist die Situation in der Eurozone die,
dass die Inflationsrate der Mitgliedstaaten der EU und der Eurozone
zugleich betrachtet werden müssen, da der grenzüberschreiten
Kreditverkehr die gesamten Währungen in der EU umschließt
und innerhalb einer weiten Range zwischen 4,2% in Rumänien und
0,8% in Portugal (März 2019) sowie in der Eurozone zwischen 1,3%
und 2,3% innerhalb eines Jahres schwankt.
Die wichtige Bestimmung der richtigen, durchschnittlichen Zinshöhe wurde bislang mit der sog. Taylor-Regel9 ermittelt. Mittlerweile sind andere Berechnungsmethoden entstanden, weil seit dem Jahr 2013 festgestellt werden musste, dass sich Taylor-Zins und tatsächlicher Leitzins signifikant voneinander entfernt haben. Würde man die alten Berechnungsmethoden weiterhin anwenden, müsste der Leitzins für die Eurozone mittlerweile bei für die gegenwärtige Konjunktursituation utopischen 4 Prozent liegen und würde zudem die hochverschuldeten Länder wie etwa Italien binnen Monaten in den Staatsbankrott treiben. Demnach hätten die Zinsen durch die EZB längst angehoben werden müssen, oder man sieht den Zustand als ein Ergebnis, dass alle Maßnahmen der Notenbank, wie gesagt, nicht zum gewünschten Ziel geführt haben, obwohl Draghi die Bazooka oder auch die Dicke Berta nun schon seit Jahren im Dauerfeuer hat.
Vielleicht aber liegt das Auseinanderdriften von tatsächlichem Referenzzins und Logarithmus aus realwirtschaftlichen Daten und Prognoseannahmen daran, dass die vorgestellte Relation zwischen Zinsen und Realwirtschaft nicht valide ist, zumindest nicht mehr in einer Zeit der Transformation bzw. Umkehrung der Relation zwischen Finanz- und Realwirtschaft. Und dass diese Umkehrung stattgefunden hat, erkennt man beispielhaft an der Entwicklung der Renditen deutscher Staatsanleihen. Bereits seit geraumer Zeit sind die Renditen deutscher Anleihen im Sinkflug, liegen im Mai 2019 zwischenzeitlich auf einem Tiefstand von 0,16 Prozent und können das Allzeittief von 0,20 Prozent bald wohl erreichen. Deutsche Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren bringen kein Geld, sie kosten Geld; ein Unding wie wir bereits ausgeführt haben. Deutschland erhält Geld, wenn es sich Geld leiht. Und die Nachfrage ist groß, da diese Wertpapiere als sicher gelten und als liquide, also gut handelbar; die Kurse also steigen im Markt. Zu beachten ist auch, dass gerade in einer Zeit, in der die Wachstumsphantasie aus der weltweiten Realwirtschaft entweicht, die Aktienmärkte volatiler werden, gerade deutsche Staatsanleihen gekauft werden. Warum warten die Investoren nicht ab, wird doch bald wieder Geld zur Refinanzierung aller Arten von Anlagen und Investitionen gebraucht? Sie warten ja, und horten ihr Geld in deutsche Anleihen, weil die Investoren wissen, dass sie diese geparkten Gelder zu relativ geringen Kosten in deutschen Anleihen parken und schnell wieder liquidieren und dann mit höheren Renditen anderswo einsetzen können.
Gerade risikobewusste Anleger wechseln in deutsche Anleihen, weil sie davon ausgehen müssen, dass der Handelsstreit zwischen China und den USA wie sich übrigens gerade zeigt, längst kein reiner Handelsstreit mehr ist, sondern es bei diesem um die langfristige, weltweite Vormachtstellung zweier Super-Ökonomien mit sehr unterschiedlichen Vorstellung von Politischer Ökonomie geht; die eine ein liberale Marktwirtschaft, die andere eine Partei-dirigierte Staatswirtschaft. Die Unsicherheit, die mit der zunehmend sich verschärfenden Rhetorik der italienischen Regierung und dem Anwachsen nationalistischer Vorstellungen in Europa einhergehen, tun ein Übriges dazu, dass risikoscheue Investoren deutsche Staatspapiere horten.
Angesichts der gestiegenen politischen Risiken
innerhalb und außerhalb der Euro-Zone mit ihren möglichen
Auswirkungen auf die nationalen wie internationalen Wirtschaften wird
dieses Verhalten verständlich, aber damit ist nicht genug des
Verständnisses dieses Verhaltens. Denn die Entwicklung der
Renditen deutscher Staatsanleihen hat Auswirkungen auf die gesamte
Volkswirtschaft der Eurozone – und auch darüber hinaus.
Was ungern gesehen wird, aber den Tatsachen entspricht ist, dass die
Renditeentwicklung der zehnjährigen Bundesanleihe direkten
Einfluss hat auf die Erträge der meisten anderen, als sicher
geltenden staatlichen Zinspapiere.
Die Renditeentwicklung, das sah
man bereits im Rückblick auf das letzte Jahrzehnt beeinflusste
und tut dies auch in Zukunft die Zinsen von Millionen von Sparern,
die Garantiezinsen und vor allem die Überschussbeteiligungen in
Versicherungsprodukten, die übrigens alle in den letzten Jahren
ersatzlos gestrichen worden sind, sowie die Kosten langlaufender
Immobilienkredite. Alles in Allem beeinflusst also der Ertrag
deutscher Anleihen auf direktem Weg nachhaltig den Wohlstand von
Millionen von Menschen und über den Anteil an der
Altersversorgung die Wohlfahrt ganzer Nationen.
Dass die Berechnungen
der Notenbanken so sehr an Validität verlieren ist also kein
Zufall. Ihre Daten und wie man sagt, ihre fundamentalen Analysen
kommen hauptsächlich aus der Entwicklung der Realwirtschaft.
Betrachten man aber Renditeentwicklungen bzw. Wertentwicklungen bei
Wertpapieren, spielen realwirtschaftliche Größen wie die
konjunkturelle Entwicklung eine eher untergeordnete Rolle, wenn
überhaupt eine.
Aus der Sicht von technischen Analysen im
Gegensatz zu Fundamentalanalysen ist die negative Renditeentwicklung
deutscher Staatspapiere noch nicht zuende. Charttechniker versuchen,
stark vereinfacht gesagt, aus dem Vergleich wiederkehrender, sich
ähnelnder Kursmuster der Vergangenheit mit aktuellen
Chartgrafiken die Weiterentwicklung von Wertpapierkursen und Renditen
wie auch Börsenindizes zu prognostizieren. In dieser Projektion
sieht man die Renditekurve deutscher Staatspapiere wieder in einen
Abwärtstrend wechseln, der seit Sommer 2018 anhält und mit
0,20 im Jahr 2016 seinen temporären Tiefpunkt erreicht hat, der
aber keinen Wendepunkt in der Entwicklung darstellt und deshalb ein
kalkulatorisches Kursziel im Bereich von rund minus 0,40 Prozent
wahrscheinlich werden lässt.
Ohne in die Tiefen der technischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen hinab zu steigen deuten auch Fakten auf die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung hin. Die von der Deutschen Finanzagentur jüngst veröffentlichten Zahlen belegen, dass erstmals wieder nach Jahren Finanzinvestoren deutsche Staatsanleihen in nennenswertem Umfang gekauft haben. Bis ins Jahr 2017 waren es weniger private Investoren, sondern die EZB und andere Notenbanken, die im Umfang von drei Vierteln aller gehandelten Bundeswertpapiere sich deutsche Staatsanleihen ins Depot gelegt haben. Nun stellen wir fest, dass seit 2018 dieser Anteil der öffentlichen Investoren stark abnimmt und zunehmend private Vermögensverwalter wie z. B. Hedgefonds solche Papiere im hohen zweistelligen Milliardenbereich erwerben.
Allein die Geld- bzw. Vermögenverschiebungen in diesem Sektor mit denen der privaten Haushalte summiert, ergibt eine signifikante Größe sowohl in der Geldmenge M0 wie M1, trotzdem ist die Geldmenge nicht länger ein Faktor bei der Berechnung der Refenezzinsen. Finanzprofis schauen aber durchaus auf die EZB-Politik und deren Tagungstermine wie die aller anderen wichtigen Notenbanken gehören zum Kalender von Investoren in Staatsanleihen. Investoren deutscher Staatspapiere sehen natürlich zur Zeit nicht nur auf den EZB-Zins, sondern auf Italien und Großbritannien sowie auf den Zwist zwischen China und den USA. Aus dieser Gemengelage und den nah zur Aktualität sich ergebenden Verschärfungen oder Beilegung von politisch motivierten Eingriffen in die Weltwirtschaft ziehen die Investoren ihre Schlüsse zum Halten bzw. zum Verkauf ihrer Positionen. Das Halten hat den Investoren in den letzten acht Monaten einen Kursgewinn bei den zehnjährigen Bundesanleihen von über sieben Prozent eingebracht; wahrlich kein schlechtes Geschäft. Dabei zählt auch das Signal, dass die Notenbanken ihre Politik der geldpolitischen Straffung nicht unbedingt aufrechterhalten wollen und damit deutsche Staatspapiere weiter einer hohen Nachfrage entgegensehen.
Wir haben in einem anderen Kontext dazu gehandelt, wie eine Verknappung sicherer Anlagen die Investoren in höhere Risiken treibt und diese Erhöhung von riskanteren Anlageallokationen wiederum zu weiterer Volatilität auf den Märkten und somit zu größere Unsicherheit für Investments, auch in der Realwirtschaft führt. Aber ganz besonders betroffen von einer weiteren Zinssenkung der EZB sind andere Notenbanken, vor allem aus jenen Ländern, die die für ihre Volkswirtschaften und ihre Währungen so wichtigen Inflationsziele seit Jahren verfehlen. Würde die EZB den Zins senken, müsste die Bank of Japan diesem Schritt unmittelbar folgen, denn eine Zinssenkung der EZB hätte ein indirekte Aufwertung des Yen zu Folge und die auf Export so angewiesene japanische Wirtschaft würde schnell einen Rückgang im Wirtschaftswachstum verspüren. Umgekehrt hat also die japanische Exportwirtschaft von der Zinspolitik der EZB temporär profitiert und allein aus diesem Beispiel dürfen alle Äußerungen etwa aus den USA, dass das US-Defizit gegenüber Japan eine bidirektionale Deutung und daraus abgeleitet eine bilaterale Politik erlaubt dem Reich der Märchenphantasien zugeschrieben werden.
Zur Bestätigung mag man hinzuziehen, dass die neuseeländische Notenbank bereits zu einer erneuten Zinssenkung übergegangen ist, die Schweizer Notenbank aktuell über ein nachdenkt und weitere Notenbank der Industrieländer sich auf einen solchen Zinsschritt vorbereiten. Wir erleben also, dass die Notenbanken von Japan, der Schweiz, Neuseeland und weiterer Industrieländer auf die Zinspolitik der EZB reagieren und nicht ihren Referenzzinssatz aus fundamentalen Größen ihrer Realwirtschaft ermitteln. Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit geht über den Wechselkurs der Währungen bei Exportnationen, ohne den der realwirtschaftliche Wettbewerb kaum gelingen kann. Wir schließen also daraus, dass aus dem einstigen Wettbewerb der Volkswirtschaften, ein Wettbewerb der Notenbanken geworden ist.
Märkte verlangen Zinsen nach Marktregeln. Diese Regeln haben viele Unschärfen und sind auch nicht linear ableitbar und übertragbar. Es sind Regeln des Wettbewerbs, Einschätzungen von Entwicklungen, keine Gesetzmäßigkeiten. Die von den Märkten verlangten Zinsaufschläge beeinflussen den Marktwert der Staatspapiere ganz wesentlich, neben deren Liquidität und Marktgängigkeit. Notenbankpolitik, ob in den USA oder in Europa erweckt den Eindruck, als stünden die Zinsen für Staatsanleihen nicht im Kontext misslungener Politischer Ökonomie, sondern unter dem Einfluss fehlerhafter Märkte. Fehlerhafte Märkte gibt es nicht und so ist auch eher gemeint ein diabolischer Deus ex machina, der der Renditegier von Anlegern resp. Investoren entspringt. Solche als fehlerhaft konnotierten Zinsaufschlägen durch die Kapitalmärkte müsste sich Notenbankpolitik schützend entgegenstellen; just das Gegenteil aber ist der Fall.
Übertreibungen werden in aller Regel durch die jeweiligen Märkte korrigiert und es bedürfte nur in Ausnahmen echter Wirtschaftskrisen Eingriffen von Notenbanken zur Sicherstellung der Transmission der Geldpolitik10 . Die Politik der EZB der letzten zehn Jahre aber war weniger durch den Erhalt der Transmissionsmechanismen motiviert als durch die Zielsetzung, gegen die Marktprozesse auf den Zugang der europäischen Krisenstaaten zu den Kapitalmärkten zu günstigen Zinsen hinzuwirken. Vom Markt aus gesehen war also die Notenbankpolitik der großangelegte Versuch der Zinsmanipulation im Sinn der Krisenstaaten, und dieser Versuch darf als ‚gelungen‘ betrachtet werden. Ohne diesen, wären einige der europäischen Staaten pleite, ihre Volkswirtschaften in einer anhaltenden Rezession mit stark deflationären Entwicklungen sowie deren Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte.
Die Zinsmanipulation der EZB hat somit nichts mit einer normalen Transmission der Geldpolitik gemein und war auch in weiser Voraussicht als das bekämpft worden, was sie wirklich ist, eine marktumgehende Staatsfinanzierung. Sie sollte durch den Artikel 125 und der darin enthaltenen No-Bail-Out Klausel verhindert werden wie auch mit Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und gehörte somit eben nicht zu einer legitimen Art der staatlichen Intervention in als ‚fehlerhaft‘ unterstellte Marktvorgänge; ‚fehlerhaft‘ wäre ein Krise, wie wir das ausführlich dargelegt haben. Und als der EZB-Rat beschloss, Staatspapiere auf die Art und Weise in fast unbegrenztem Maße auf zu kaufen, nämlich unter drastischer Herabsetzung der Pfänderqualität, wie das dann geschah, gab nicht nur der damalige Präsident der Bundesbank, Axel Weber, sein Amt zurück, sondern die EU der Eurozone auch den Status eines Wettbewerbers mit den Notenbanken anderer Industriestaaten und Wirtschaftsräume.
Damit haben sich die Kapitalflüsse verändert. Einmal von einem wechselnden Feld sicherer Anleihen hin zu riskanten Geldallokationen. Überschießende Geldströme kommen in Wertpapiermärkten ebenso an wie in den Immobilienmärkten und führen so zu den berüchtigten Blasen, als Marktübertreibungen. In den Aktienmärkten sehen wir Überhitzungen z.B. im Segment der sog. FAANG Titel – Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google. Und schließlich wird durch Notenbankpolitik in den Industrieländern ganz entscheidend auch der freie Kapitalfluss in und aus den Schwellen- und Emerging-Markets behindert, da diese sich dem durch die Notenbankzentralen versuchten Auf- und Ab der Kapitalflüsse weder entziehen noch zur Wehr setzen können. Der freie Kapitalverkehr, der Hauptbestandteil internationaler Abkommen für eine sich weltweit ausbreitende Marktwirtschaft unter fairen Kapitalbedingungen ist, wird so durch fremde geldpolitische Entscheidungen denormalisiert.
Blickt man auf die wichtigen Zielgrößen
der Geldpolitik: Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum und
Inflationsrate, dann erkennt man, die Zinspolitik der EZB hat für
den Euroraum ihre Zielvorgaben verfehlt. Arbeitslosenquote,
Wirtschaftswachstum und Inflationsrate passen länderspezifisch
teilweise überhaupt nicht zusammen und für den Euroraum
insgesamt sieht es nicht viel besser aus. Was aber funktioniert hat
ist neben der Bankenrettung der europäischen Großbanken
vor allem aus Frankreich, England und Deutschland – hier aber
eher vorübergehend, wenn man den Zustand der Deutschen Bank und
der Commerzbank heute betrachtet – die weitere Sicherung des
Zugangs zu den Kapitalmärkten für hochverschuldete Staaten
und an der Grenze der haushaltspolitischen Seriosität agierenden
Regierungen wie etwa die in Italien.
Wenn diese Notenbankpolitik
einen Einfluss auf die deutsche Wirtschaft hatte, dann wollen wir
dies im Folgenden herausfinden, bestätigen oder widerlegen.
Richter spielt Ravel ... Pavane pour une infante défunte
(Quelle Youtube)
Anmerkungen:
1 Opportunitätskosten (manchmal auch als Alternativkosten oder Verzichtskosten bezeichnet) sind entgangene Erlöse (allgemeiner: entgangener Nutzen), die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten (Opportunitäten) nicht wahrgenommen werden. (Wikipedia).
2 PCE-Index ist der Preisindex der privaten Konsumausgaben ohne Energie und Lebensmittel.
3 FOMC steht für Federal Open Market Commitee und bezeichnet damit den Offenmarktausschuss der US-amerikanischen Notenbank, der Fed (Federal Reserve Bank). Das FOMC hat zwölf Mitglieder, von denen sieben Teil des Aufsichtsrats sind, der vom Präsidenten der USA ernannt wird. Der Rest besteht aus Präsidenten der regionalen Zentralbanken innerhalb des Federal Reserve Systems, die jährlich wechseln.
4 Bei empirischen Untersuchungen wird die Renditekurve meist als die Zinsdifferenz zwischen 10-jährigen und 3-monatigen US-Staatsanleihen anstatt 10-jährigen und 2-jährigen US-Staatsanleihen definiert. Es gibt aber unterschiedliche Gründe dafür, die die zweite Definition der ersten vorzuziehen. Was die Datenverfügbarkeit angeht, liegt für die Rendite der 3-monatigen US-Staatsanleihe eine wesentlich längere Historie vor. Doch wenn es darum geht, kurz- und langfristige Einschätzungen des BIP-Wachstums und der Inflation zu vergleichen, lässt sich dies besser anhand der 2-Jahres-Rendite tun.
5 Klaus Schönberger (Hg.): Va Banque. Bankraub - Theorie, Praxis, Geschichte. Libertäre Assoziation und Co. Verlag, Berlin/Hamburg 2000,ISBN 9783922611837
6 Referenz für die folgenden Ausführungen ist das Kapitel 7 in Sinn, a.a.O. 2015 S.329 ff.
7 Vgl. Norbert Häring: Amerika gibt, Amerika nimmt. In Handelsblatt print: Nr. 101 vom 27.05.2019 Seite 010.
8 F. Bräuning, V. Ivashina: "U.S. Monetary Policy and Emerging Market Credit Cycles", Brauning-Ivashina_EM-20171010-1 PDF .
9 Nach
der Taylor-Regel sollen die Zinsen steigen / erhöht werden,
wenn die Inflationsrate über dem Inflationsziel (von z.B. 2 %)
liegt und / oder wenn die Produktion stark ausgelastet ist; die
Geldpolitik ist restriktiv.
Umgekehrt sollen die Zinsen sinken,
wenn die Inflationsrate niedrig bzw. unter dem Inflationsziel liegt
und / oder wenn die Produktion unter dem Produktionspotenzial liegt;
die Geldpolitik ist expansiv.
Mittelfristig soll die Beachtung
der Taylor-Regel dafür sorgen, dass das Inflationsziel erreicht
und die Wirtschaft stabilisiert wird.
10 Der
Prozess, mittels dessen sich geldpolitische Entscheidungen auf die
Wirtschaft auswirken, wird als Transmissionsmechanismus der
Geldpolitik bezeichnet. Die geldpolitischen Impulse werden über
einzelne Verbindungen (Transmissionskanäle) übertragen.
Oft unterscheidet man hierbei zwischen Zinskanal, Kreditkanal,
Wechselkurskanal und Vermögenskanal. Die Geldpolitik wirkt
durch alle Kanäle, aber unterschiedlich – je nach z.B.
Finanzstruktur der Wirtschaftssubjekte (Zinsreagibilität der
Vermögenspositionen, Laufzeit der Finanzinstrumente etc.).
Die
verschiedenen ökonomischen Denkschulen bewerten einzelne
Auswirkungen unterschiedlich. So hebt z.B. der Keynesianismus die
Transmission fiskalpolitischer Impulse auf das BIP stärker
hervor als der Monetarismus, während Letzterer der Geldpolitik
einen besonderen Einfluss auf das Preisniveau beimisst.(Wikipedia).
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