Transformation versus Krise
Franz Rieder • Politische und ökonomische Krise, Aufstand gegen den Erfolg Ende des Laissez-faire?
(nicht lektorierter Rohentwurf) (Last Update: 20.05.2019)
Bevor wir in dem Gedanken der Transformation der
Marktwirtschaft weiter gehen, soll eine kurze Besinnung auf den
Zusammenhang zwischen Transformation und Krise helfen. Wenn wir von
einer Krise der Marktwirtschaft sprechen, ist nicht nur der Begriff
Krise generell zu klären, sondern, insofern wir behaupten, dass
diese Krise, so sie stattfindet, menschengemacht ist, auch die Frage
zu beantworten, wer maßgeblich die Krise zu verantworten hat.
Wer löst eine Krise aus? ist die Frage, die sich stellt, wenn
mehrere Personen beteiligt sind.
Nun wissen wir, dass es nicht auf
einzelne Personen ankommt, sondern dass es sich allein um
strukturelle Verantwortlichkeiten handeln kann, sonst könnten
wir diese gar nicht verallgemeinern.
Wir haben soeben herausgearbeitet, dass die politische Ökonomie etwa die Hälfte aller Finanzströme in den europäischen Volkswirtschaften kontrolliert und damit auch verantwortet; in den USA ist der Staatsanteil um etwa 15% geringer. Kontrolle in diesem Zusammenhang meint zugleich auch ein Verursacherprinzip und ist somit auch als Verantwortung zu beschreiben.
Ist dem so, dann ist die politische Ökonomie
auch zur Hälfte in etwa an den Transformationsprozessen der
Marktwirtschaft beteiligt, faktisch sogar in einem deutlich größeren
Maßstab. Denn nicht nur sind scheinbar marktwirtschaftsferne
Aggregate des Bruttosozialprodukts wie staatliche Verwaltungen,
Polizei, Militär, Sozialkassen u.s.w. zugleich auch Auftraggeber
für etwa Transformationen in die Digitalisierung von
Verwaltungs- und Kommunikationsprozessen sowie Investitionen in die
Sicherheit, inklusive der Abwehr von äußeren wie inneren
Angriffen auf die staatlichen Institutionen durch Terror und
staatliche Institutionen.
Staatliche Subventionen für
paneuropäische Projekte in der Digitalwirtschaft zur Bekämpfung
von direkter und indirekter Arbeitslosigkeit in Europa gehören
eben so in diese Rechnung wie die erheblichen Kosten für die
Stabilisierung der europäischen Finanzmärkte und, à
la longue, für den Aufbau eines europäischen Finanzmarktes
und des Euros als zweite Weltwährung.
Wie dem auch sei, wenn es darum geht, die Transformation der Marktwirtschaft zu beschreiben, dann ist eine Differenzierung vonnöten, die die Verantwortung der Wirtschaft von der Verantwortung der politischen Ökonomie trennt. Dass beides zusammenhängt, machen die jüngsten Stellungnahmen des IWFs in seiner diesjährigen Weltwirtschaftsprognose deutlich. Darin votiert der IWF für mehr internationale Wirtschaftszusammenarbeit und zugleich für eine deutlich verbesserte Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands in den reichen Industriestaaten.
Multilateralismus und internationale,
regelbasierte Handelsbeziehungen, so der IWF, müssen den Bürgern
der westlichen Staaten nicht nur durch deren politische
Repräsentanten besser erklärt werden, sondern deutlich mehr
wirtschaftlichen Nutzen bringen, sowohl was die monetäre
Verbesserung als auch eine Verbesserung der Planung und Absicherung
der Lebensphasen der Menschen betrifft.
Im Kern argumentiert der
IWF, dass es eine direkte Beziehung gibt zwischen der Verteilung der
Wohlstandsgewinne und der politischen Akzeptanz des
Multilateralismus; wir sprechen fortan von Globalsierung der
Wirtschaft.
Der IWF hält fest, dass nach den Jahren der Finanzkrise immer weniger Menschen von den Wachstumsgewinnen der Marktwirtschaft profitiert haben. Dabei zeigt der Chefökonom des Fonds, Obstfeld, durchaus Verständnis für die, seiner Meinung nach tiefe Enttäuschung der Bürger, die zur Wahl von Populisten in vielen Industriestaaten geführt hat.
Insgesamt falle das Wachstum in der Ersten Welt
seit der Jahrtausendwende geringer aus als in den Schwellenländern;
in der Finanzkrise hätten Banken mit Milliarden gerettet werden
müssen. Und es hätten von den Wohlstandsgewinnen danach nur
wenige profitiert. Etwa in den USA: Mittlere Einkommen seien 2016
nicht höher gewesen als im Jahr 1999, also vor mehr als 17
Jahren.
„Politiker müssen alles für
dauerhaftes inklusives Wachstum tun“,1
fordert Obstfeld. Der IWF versteht unter inklusives vs. exklusives
Wachstum eine gute Gesundheitsversorgung für alle Bürger,
sichere soziale Netze, Investitionen in die Infrastruktur, Bildung,
eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und gute
Kinderbetreuung.
Nur wenn die Wohlstandsgewinne, die durch
Globalisierung höher seien, als sie es ohne internationale
Lieferketten wären, vielen zugute kämen, seien Menschen in
Industriestaaten weiter bereit, Parteien zu wählen, die für
Multilateralismus eintreten.
Neben dieser großen
Herausforderung einer besseren Verteilung des Bruttosozialprodukts in
einem Ausbau des Sozialstaats müssten Staaten, in denen die
Wirtschaft gut läuft, ihre Staatsfinanzen sanieren, um für
die nächste Krise besser gerüstet zu sein.
Diese Argumentation, so überraschend sie auch von einem Wirtschaftsfond nun formuliert wurde, war und ist heute und von Anbeginn der Marktwirtschaft an ein Schritt über eine dicke rote Grenzlinie. Der Ausbau des Sozialstaates war und ist ökonomisch kontraproduktiv, so die Lehrmeinungen und die politische Ökonomie bislang vereint im Diskurs. Dass also der Wirtschaft vonseiten einer Wirtschaftsorganisation eine höhere Wohlstandspartizipation nahe gelegt wird, was diese immer mit höheren Partizipationskosten und in der Folge mit dem Verlust an Arbeitsplätzen diskursiv gekontert hat, ist allein schon neu. Dass dabei auch der politischen Ökonomie ein Armutszeugnis ausgestellt wird, gipfelt die Kritik zudem.
Denn hatte Politik bislang das Wohlfahrts-Spending unter den Primat der Ökonomie gestellt, also als eine reine Verteilungsfunktion eines Residualbudgets verstanden, so erhält es durch die Mahnung des IWF ein eigenes politisches Konto. Die Einzahlungen in dieses Konto stehen dabei aber nicht, wie bisher, im Widerspruch mit den Staatsfinanzen, die gleichzeitig zu sanieren sind, so der IWF weiter. Schuldenfinanzierte Wohltaten der Politik an ihre Bürger sind somit nicht nur als ubiquitäre Elemente demokratischen Machterhaltes stillschweigend genehmigt, im Gegenteil. Eine alte Forderung aus Zeiten sozialistischer Wirtschaftsthgeorie tritt hier nun im neuen Gewand der Transformation nationaler Volkswirtschaften auf, einer Art Einpreisung bzw. strukturellen Angleichung der Wohlstandsgewinne.
Wenn Arm und Reich weiter auseinander treten, fürchtet der Wirtschaftsfond nicht ganz zu Unrecht eine Schwächung der Akzeptanz des wirtschafts-politischen und ökonomischen Multilateralismus. Das heisst letztlich, dass unter den ökonomischen Spannungen in den weltweit vernetzten Ökonomien die politische Ökonomie sich weiter ausbreitet, als irgend jemanden in der Marktwirtschaft lieb sein kann. Das Konto der politischen Ökonomie bläht sich auf in Nationalismen, anti-liberalen Bestrebungen hin zu unilateralen, ökonomischen wie politischen Formen, in Monopolen wie oligopolen, ökonomischen Entitäten, die nicht mehr wie am Anfang des Industriezeitalters als klassische Monopole oder Oligopole bestehen, sondern als weltweite Netzwerke und Plattformen existieren.
In der Politik sehen wir entsprechend das Entstehen und die Ausbreitung vor-demokratischer Machtformationen, eher ähnlich feudalen bis hin zu diktatorischen Machtstrukturen, wobei auch diese ihren „Vorgängern“ lediglich ähnlich sind, sich inhaltlich allein schon dadurch unterscheiden, dass sie auf vernetzten Technologien aufbauen und sich bislang noch in einer Form der nationalen Gesamtkontrolle von Wirtschaft und öffentlichem Leben beschränken, wie dies z.B. in China sowohl ökonomisch in Form eines Staatskapitalismus und sozial in Form einer Gesamtüberwachung der Bürger, des als sog. Sozialkredit-Systems, bis 2020 noch freiwillig betriebene, dann als staatlich verordnetes System sozialer Kontrolle längst der Fall ist. Wer garantiert, dass die Verteilung der Wohlstandsgewinne in der Zukunft nicht nach dem Gedanken eines Sozial-Kredit-Systems organisiert wird?
Wir halten fest; wahrscheinlich ist es das erste Mal, dass eine Wirtschaftsorganisation die Verteilung des ökonomischen Wohlstands gleich aller Volkswirtschaften der sog. Ersten Welt kritisiert. Ebenso das erste Mal verbindet eine Organisation der Ökonomie die Verteilungsfunktion der politischen Ökonomie mit der politischen Organisation von Macht und schließlich identifiziert der IWF die Verstrickung von Politik und Ökonomie zu einer ökonomisch ungerechten, politischen Ökonomie.
Der IWF folgt damit nun nach mehr als vierhundert
Jahren dem Gedanken der europäischen Aufklärung und urteilt
zugleich über den unheilvollen Zusammenhang der politischen
Ökonomie und sieht in der distributiven Disproportion der
ökonomischen Gewinne die Gefahr einer Machtverschiebung von der
Demokratie hin zu autoritären Machtformationen, mithin eine
massive Krise der Ökonomien selbst.
Dass diese Transformation
hin zu einer Monopolisierung der Zukunftstechnologien, deren Zukunft
aber bereits lange schon zurück begonnen hat, sichtbar
stattfindet, ist evident. Dass eine Entpolitisierung des öffentlichen
Raums von demokratischen zu autoritären Machtformationen
stattfindet, ist ebenso evident.
Politische und ökonomische Krise
Wir haben gesehen, dass der IWF einen Zusammenhang zwischen politischer und ökonomischer Krise auf der Basis der aktuellen Transformation von National- in Global-Ökonomien sieht. Dieser Zusammenhang, der am ehesten noch zurück datiert auf Marx, war im System der traditionellen politischen Ökonomie nur insofern enthalten, als Keynes einen staatlichen Eingriff in die Ökonomie in Phasen sich zuspitzender Rezession für sinnvoll und angemessen hielt.
Weitgehend auch um der systematischen Geschlossenheit der Ökonomik wurde so verfahren, als ob die politische Ökonomie einen Bereich außerhalb der Ökonomie selbst zu besetzen und dabei reine Verteilungsfunktionen aus zu üben habe. Das korrespondierte in einer terminologischen Exterminierung, insofern Ökonomik und politische Ökonomie gleich gesetzt wurden, die politische Ökonomie zu einem anderen Terminus für Volkswirtschaftslehre geriet.
Unterhalb dessen korrespondieren auch jene Unterbegriffe der Krise, die nun zu einer Phase der Rezession zusammengefasst sind und nach neuester Lesart eigentlich zwei zeitliche Phasen,genauer zwei Quartale aufeinanderfolgenden Wirtschaftsabschwung bezeichnen. Wir sprechen also schon dann von einer Rezession, wenn die Konjunkturzyklen nach sechs Monaten einen Abschwung beinhalten.
Die Marktwirtschaft scheint als keine Krisen im klassischen Sinne mehr zu kennen. Eine Rezession, die nicht innerhalb der Bandbreite natürlicher Konjunkturschwankungen verläuft, scheint also kaum noch zu existieren, zumindest in der Ökonomik einer präzisen Bestimmung und theoretischen Anerkennung verlustig zu gehen. Ene Verbindung zwischen Ökonomie und Politik wird in der Ökonomik nicht im Sinne einer politischen Ökonomie reflektiert, sondern als ein Außenverhältnis der Ökonomie, insofern Politik über Verteilungsfunktionen einer möglichst kleinen Staatsquote zur Bewältigung allgemeiner, nicht durch die private Ökonomie zu erbringenden Aufgaben organisiert. Sollte tatsächlich ein Krisenszenario sichtbar werden, ist Politik dienstbar der Ökonomie durch geld- und konjunkturpolitische Maßnahmen; das sei alles.
Den Gipfel dieser Vorstellung erreichte vor etwa
25 Jahren der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama,
als dieser den endgültigen Sieg der liberalen Demokratie über
alle konkurrierenden Regierungsformen verkündete; welch eine
Weitsicht.
In der jüngsten Studie der Bertelsmann Stiftung recherchiert die
Stiftung ein verheerendes Ergebnis: „Die Qualität von
Demokratie, Marktwirtschaft und Regierungsführung weltweit ist
auf den niedrigsten Stand seit zwölf Jahren gefallen.“
Und
nicht nur die notorischen Sorgenkinder Ungarn, Polen und die Türkei
schneiden in der Studie schlecht ab, auch die USA unter Trump haben
deutlich an Demokratiequalität eingebüßt; Deutschland
und Frankreich schneiden besser ab, wobei die Stiftung einige der
aktuellen, politischen Phänomene nicht wirklich in den Blick
bekommt.
Politische Polarisierung, nicht nur in den USA,
sondern auch in Europa, erschwert zunehmend den Prozess der
wirtschaftlichen Erneuerung und der Transformation von
Nationalökonomien zu einer global vernetzten Ökonomie.
Gerade die westlichen Staaten zeigen zunehmende Polarisierungen und
einen zunehmenden Populismus, die Globalisierung fast unmöglich
erscheinen lassen.
Dabei urteilt die Stiftung derart, dass das
Problem der Polarisierung darin bestünde, dass Demokratien einen
„Imageverlust“ verzeichnen, dadurch bedingt,
dass die Einbeziehung der Bürger in politische Entscheidungen
abnimmt.
Eine merkwürdige Analyse, denn heute mehr denn je
klagt die Politik über eine zu hohe Bürgerbeteiligung, die
fast jedes Projekt schon in der Planungsphase so behindert, dass es
zur Durchführungsphase kaum noch kommt, zumindets nicht in einem
zeitlich wie wirtschaftlich vertretbaren Rahmen.
Die Bertelsmann Studie nimmt dann auch die
allseits publizierte Schlussfolgerung auf, dass es auch in
Deutschland an in sich kohärenten Aussagen zu den strategischen
Vorteilen von politischen Vorhaben mangelt, also die
Außenkommunikation hin zu den Bürgern nicht funktioniere;
ach wären doch alle Probleme nur Kommunikationsprobleme.
Was,
wenn die Problematik doch ein wenig tiefer begründet liegt? Wenn
die politischen Veränderungen, die sich direkt auf die
ökonomischen Veränderungen auswirken, auch in diesen
ökonomischen Transformationsprozessen ihren Grund haben?
Politik und Wirtschaft stehen in einem komplementären Verhaltnis zueinander, eins bedingt das andere, ohne, dass dabei eine kausale oder dialektische Beziehung zueinander bestehen würde. Wir haben gesehen, dass Christine Lagarde, die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds und ehemalige Wirtschafts- und Finanzministerin im Kabinett von Premierminister François Fillon, also bestens vertraut mit beiden Komplementärbereichen, nach mehr als vierhundert Jahren in ihrem Beitrag durchaus eine politische Krise mit direkten Auswirkungen auf die Transformation der Wirtschaft in ein globales Netzwerk konstatiert und dabei die alte Trias der Aufklärung anmahnt, dass politische Freiheit nur innerhalb einer sozialen und rechtlichen Gleichheit und Brüderlichkeit gedeiht. Brüderlichkeit meint in diesem Zusammenhang der Aufklärung eine Verteilungsgerechtigkeit, ein Partizipationsprinzip aller Bürger am gesellschaftlich erwirtschafteten Wohlstand.
Dass Lagarde zur Bewältigung möglicher
Krisen in Wirtschaft und Politik zu den Begriffen der Aufklärung
greift, zeigt die Begrenztheit und Hilflosigkeit des IWF, der
immerhin die wichtigste Organisation zur Rettung bzw. Konsolidierung
von Volkswirtschaften in Phasen einer Wirtschaftskrise ist; eine
Hommage an die Aufklärung zudem ist das auch nicht.
Der
Ansatzpunkt für den IWF3
war, dass den möglicherweise auf die Industrienationen
zulaufenden Wirtschaftskrisen allein mit geldpolitischen Maßnahmen
nicht mehr bei zu kommen sein wird. Umfassende sozialpolitische wie
begleitende fiskalpolitische Maßnahmen sollten daher in
Betracht gezogen werden.
Die Transformation von Nationalökonomien in
globale, digitale Netzwerke scheint in Schwierigkeiten zu geraten,
geradezu in allen westlichen Staaten. Die Akzeptanz breiter
Bürgerschichten in den europäischen Industrienationen
scheint auseinander zu brechen und diesen Transformationsprozess
nicht zu unterstützen, zumindest deutliche Zweifel an der mit
diesem Prozess verbundenen Wohlstands-Partitzipation zu hegen.
Wie
die politische Realität verdeutlicht, handelt es sich im Kern
des Zweifels bzw. der Ablehnung der Globalisierung der
Marktwirtschaft in weiten Teilen der Bevölkerungen westlicher
Industrienationen nicht allein um eine Mangel an
Wohlstandspartizipation. Das Problem schein tiefer zu gehen und ist
mit dem Begriff Angst nicht ganz zu unrecht bezeichnet. Und dabei
handelt es sich keineswegs aufgrund der weiten Verbeitung des
Phänomens um die viel zitierte „German Angst“.
Was also versteckt sich hinter der deutlichen Seitwärtsverschiebung der Wohlstandsskala in Richtung zunehmenden, individuellen Reichtums? Wie kommt es zu diesem Transfer einer nationalen, soziologischen Tatsache, dass immer weniger Menschen immer mehr am gesellschaftlichen Wohlstand partizipieren und ihren persönlichen reichtum überproportional vermehren können, hin zu einer Angst vor der Globalisierung, die doch allerorts politisch wie ökonomisch argumentiert einen Wohlstandzuwachs verspricht?
Aufstand gegen den Erfolg
Die Schere zwischen arm und reich geht auseinander. So jedenfalls scheint es der Fall zu sein. Dabei, blickt man ein wenig genauer auf diesen Fall, dann wird man erkennen müssen, dass der gesellschaftliche Wohlstand nie größer war und auch die Partizipation daran, nicht in ein Verhältnis zwischen arm und reich, sondern nominell absolut gesetzt, ebenso nie besser war als zur Zeit in den westlichen Industrienationen. Woher kommt also dann die Angst vor der „Globalisierung“?
Als Karl Marx das Kapital schrieb, war der Fall bedrückender. Arm und reich waren Eigenschaften einer gesellschaftlichen Spaltung zweier gesellschaftlicher Gruppen, die eine auf der Seite der „Arbeit“, die andere aufseiten des „Kapitals“ stehend, die eine zahlreich, die andere zahlenmäßig klein, dort die „working poor“, hier die „happy few“. Marx antizipierte diese Spaltung als eine sich dynamisch entwickelnde ökonomische Spaltung und in der Folge als eine soziale Krise mit einer Art zunehmender Gentrifizierung der Klassengesellschaft des Kapitalismus. Die Entwicklung der Marktwirtschaft hat diesen Teil seiner Theorie überholt.
Marx war auch in einem nicht geringen Sinne eine
Antwort auf die ökonomische Lehre von Adam Smith, der bereits
knapp hundert Jahre vor Marx die Vermehrung des gesellschaftlichen
Wohlstands auf eine Zunahme des gesellschaftlichen Wohlstands durch
mehr und produktivere Arbeit zurückführte. Dabei wird oft
vergessen oder übersehen, dass Smith ein vehementer Kritiker der
damals sich ausbreitenden Lehre der sog. Physiokraten wie etwa
Quesnay und Turgot war, die behaupteten, dass neben der
Landwirtschaft als einziger wahrer Quelle des Wohlstands die
Handelsbilanz anzusehen sei.
Handelsbilanz war damals wie heute
das Hauptkriterium der Merkantilisten, die damals wie heute die
Handelsbilanz durch Einfuhrzölle, durch starke Handelsmonopole
und einen strikten, staatlichen Dirigismus positiv beeinflussen
wollten.
Die Ausfuhren einer Volkswirtschaft sollten demnach die Einfuhren stets deutlich übersteigen, um eine positive Handelsbilanz und zugleich eine positive Entwicklung der nationalen Geldmenge zu erreichen. Man stritt sich damals wie heute um des Kaisers Bart, ob denn nun die Handelsbilanz und die Geldmenge oder die Zahlungsbilanz einer Volkswirtschaft die Grundlagen des Wohlstands seien.
Smith votierte für die Zahlungsbilanz, da für ihn der Wohlstand nicht in der Menge der Ausfuhren und damit der Zunahme der Geldmenge, sondern in der Menge der erzeugten Güter, also im Potential der gesellschaftlich vorhandenen Arbeitskraft lag. So war es folgerichtig, dass Smith auch für eine Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit votierte wie für eine Ausweitung der Kapitalressourcen, die produktive Arbeit, etwa durch Arbeitsteilung und technische Innovationen in Gang zu setzen in der Lage ist.
Wenn Smith dies auch nicht ausdrücklich und theoretisch begründet ausgeführt hatte, so ist doch zwangsläufig sein Ansatz einer, der die Menge der Güter, die durch menschliche Arbeit produziert werden, nicht an nationalen als natürliche Grenzen bedingt sieht. Wenn man auch bedenkt, dass bereits Smith erkannt hat, dass der Reichtum einer Nation nicht nur darin besteht, dass mehr Waren produziert werden, sondern dass dieser in abnehmenden Preisen der Waren im Verhältnis zum Anwachsen der Löhne besteht, was ja nur möglich ist, wenn das Wachstum der Waren auch durch eine stets wachsende Abnehmer- bzw. Käufer- oder Konsumentschaft gewährleistet ist, so hat sein nationaler Blickwinkel auf die Wirtschaft in logischer Konsequenz auch einen transnationalen Horizont.
Darunter und ganz von den neuen Ideen der
Aufklärung begeistert, sah Smith den Wohlstand der Nationen auch
bedingt durch die Zufriedenheit der Lohnarbeiter, heute sagen wir
Erwerbstätige, also mithin in einer Verteilungsgerechtigkeit,
sowie einer größtmöglichen individuellen Freiheit des
Einzelnen, die als eine politische Rahmenbedingung zu gewährleisten
ist.
Er war gegen die Beschneidung des Wettbewerbs durch Gesetze
und Verordnungen, die etwa jungen, arbeitswilligen Menschen
Lebenschancen beschneiden, ihren „Markt“ und damit auch
ihren „Marktwert“ begrenzen. So etwa durch die damaligen
Lehrlingsgesetze, Niederlassungsbestimmungen und Emigrationsverbote
und einer Vielzahl von sanktionierten Regeln und Verboten, die den
freien Arbeitsmarkt nicht nur national sondern transnational
einschränkten.
Smith, der vielleicht erste Ökonom der Globalisierung, dessen „Wohlstand der Nationen“ – man beachte den Plural – von Schumpeter als das erfolgreichste Buch über die Wissenschaft der Ökonomie bezeichnet wurde, war keineswegs, contre couer, ein Globalisierer und es mutet heute fast schon wie ein déja vu an, wie durch trotziges Unwissenheitsgehabe im Vorfeld der Brexit-Abstimmung die alten merkantilen Theoreme in brachiale Lügen gepackt wurden, um im Königreich Anti-Europäer und Globalisierungsgegner ins Unterhaus und nach Downing Street No. 10 zu schummeln.
Binnen einer Woche war der Brexit und die Wahl D.
Trumps zum Präsidenten der USA beschlossene Sache und der über
vierhundert Jahre alte Merkantilismus, genauer dessen Ansichten und
Vorstellungen einer Ökonomie in geschützten Landesgrenzen,
von wo aus die Handelsbeziehungen zum Rest der Welt aus dirigiert
werden, erlebte eine späte Renaissance.
Der Protektionismus
sucht einen Wohlstand zu schützen, der gerade durch den
Protektionismus selbst stark eingeschränkt wird.
So reist die angelsächsische ‚Mutter
Mayday‘ seit dem Votum, gegen das sie selbst beizeiten gestimmt
hatte, nun als Botschafterin des englischen Merkantilismus durch die
Lande „making brexit a big success“ und
versucht, die alten Kolonien des Empire für ihre neue,
europäisch beschnittene Nationalökonomie zu gewinnen; mit
weniger Potenz und geringem Effekt. Sie hatten England einmal aus der
monetären Klemme nach dem Zweiten Weltkrieg geholfen und dabei
der Krone ihre Unabhängigkeit abgetrotzt, die sie natürlich
nun, ohne Not, nicht freiwillig dem alten Empire wieder ofern
wollten.
Indien, Australien, Kanada, nicht einmal die
afrikanischen Staaten verspürten Ambitionen in diese Richtung,
ist doch deren globale Wirtschaft, ob als Rohstofflieferanten oder
internationale Handelspartner deren festeste Basis ihres Wohlstandes
oder, wie in den afrikanischen Staaten, ihres Wachstumspotentials.
Englands amerikanische Thronfolger auf den Weltmärkten sind aus den gleichen Gründen motiviert, durch Protektionismus den Glauben zu nähren, den Rust Belt wieder zum glänzen zu bringen. Doch schnell zeigte sich, dass allein die „konservative“ Seite, die selbst diesem neuen Merkantilismus im Kongress nicht traut und nur aus machtpolitischem Kalkül ihrem Präsidenten folgt, derartigen Hoffnungen offen nicht widersprach. Hoffnungen, die wie die britischen einem Wahlkampf entsprangen, der mit Jahrhunderte alten Wirtschaftskonzepten, alle erfolglos am Ende, und einer gezielten, diskursiven Desinformation die realtive Mehrheit für die Wahl gewinnen konnten.
Damit aber ist der Erfolg für den Wohlstand
beider Nationen beileibe nicht gewährleistet. In Europa ist für
die EU wie für die britische Volkswirtschaft das Rennen bereits
kurz nach der Brexit-Entscheidung gelaufen gewesen. Bis auf die
britische Administration waren alle Regierungen und Experten sofort
der Meinung, dass für die Briten wie die EU der Schaden durch
den neuen, britischen Merkantilismus ausgemacht ist.
In den USA
liegt der Fall etwas anders, aber im Ergebnis wird nach dem Auslaufen
der Steuereform und des QE der Fed sowie der Kapitalverschiebungen
aus den Schwellenländern im Jahr 2019 auch hier der
volkswirtschaftliche Schaden sichtbar werden.
Das Ende des Laissez-faire?
Wir meinen ja, dass die Globalisierung noch gar nicht so richtig begonnen hat, da sprechen viele bereits vom Beginn einer Phase der Deglobalisierung; und es werden immer mehr. Da wir dabei sind, uns Gedanken über den Begriff der Krise zu machen, insofern dieser Prozess bzw. temporäre Zustand einen ökonomischen Zusammenhang beschreibt, liegt es nahe zu vermuten, dass die, die von Deglobalisierung sprechen den Prozess der Globalisierung auch in einer Krise sehen.
Ist der Prozess der Globalisierung breits in eine
Krise gekommen? Was spricht für diese Analyse?
Die, die über
eine Deglobalisierung sprechen argumentieren so, dass Protektionismus
und Eingriffe in den Freihandel lediglich Oberflächenphänomene
sind über einem tiefgreifenden Wandel der Weltwirtschaft, den
auch wir bereits beschrieben haben. Den Grund für diesen
tiefgreifenden Wandel sehen diese Analysen darin, dass unter dem
Schlachtruf: „America First“ die US-Regierung sich mit
Buy-American-Klauseln gegen seine wichtigsten Handelspartner im
Westen über deren „Diebstahl“ am amerikanischen
Wohlstand zur Wehr setzt.
Deglobalisierung ist dann im Kern eine
US-amerikanische Wirtschaftspolitik gegen offene, globale Märkte,
die wiederum vehement verteigt werden von den Regierungen in Brüssel,
Berlin, Moskau und Peking, um nur die prominesteten Gegner zu
benennen. Sie sehen in der Globalisierung den Garanten für
Wachstum und Wohlstand, während in Washington man darin eine
sich bereits weit geöffnete Schwere einer Wohlstandsverteilung
zu Ungunsten der US-Wirtschaft und von Teilen ihrer Gesellschaft
ausmacht.
Wir erkennen, dass die bislang stets unter Kategorien der Nationalökonomie diskutierte Verteilungspolitik neuerdings eine weltweite Sicht und Bedeutung bekommt. Und wir konstatieren, dass inmitten eines Prozesses der fortschreitenden Globalisierung wir gleichzeitig mit einen gegenläufigen Prozess der Deglobalisierung konfrontiert sind; dabei sprechen wir nicht wie in früheren Kapitel angesichts dieses Phänomens von einer „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ wie dies Bloch formuliert hatte.
Die Engführung des Prozesses der
Deglobalisierung mit der Amtszeit von Trump aber ist sachlich und
zeitlich falsch. Bereits im Jahr 2016 beklagte die WTO, dass seit
2008 mehr als 2.100 Handelsbarrieren errichtet wurden. Im gleichen
Jahr konstatierte der IWF, dass das Wachstum des globalen
Handelsvolumens bereits seit 2012 rückläufig und unter
seine langjährigen Durchschnitte gefallen ist. Die
UN-Handelsorganisation UNCTAD machte auf einen signifikanten Rückgang
der grenzüberschreitenden Investitionen aufmerksam.
Die
Weltbank sieht ein absinkendes Investitionswachstum in den Schwellen-
und Entwicklungsländern seit 2010. Der Anstieg der
Arbeitsproduktivität ging seit 2009 im globalen Maßstab
zurück und, nicht verwunderlich, in den Entwicklungsländern
dramatischer als in den Industrieländern. Besonders bezeichnend
ist, dass seit 2008 der globale Handel langsamer wächst als die
Produktion; dies spricht ebenso für eine rückläufige
Globalisierung. Wenn aber die Prozesse der Globalisierung an Schwung
verlieren, ist das dann bereits ein Indiz für eine
Deglobalisierung? Ist es gerechtfertig von einer Deglobalisierung
bereits zu sprechen, obwohl diese Phänome auch Anzeichen einer
Zyklik sein können, die auch im globalen Wirtschaftsgeschehen
durchaus ubiquitär sind und als normal angesehen werden können?
Jedenfalls, Donald Trump ist nicht die Ursache dieser Entwicklung.
Was Trump und die US-Administration anstreben, ist
eine Form der Repatriierung globaler Wertschöpfungsketten,
mindestens so, dass ein erheblicher Teil der Wertschöpfung
wieder in die US-amerikanische Produktion zurückkehrt. So sollen
Jobs geschaffen werden und eine nationale Konzentration der
Produktion und angegliederter Bereiche. War über mehrere
Jahrzehnte also der Aufbau globaler Produktionsketten ein
wesentlicher Treiber der Globalisierung, so scheint heute gerade von
diesem Prozess für die US-Wirtschaft eine erhebliche Gefahr
auszugehen.
Freihandel und wirtschaftlicher Fortschritt, diese
Hamonienlehre der Marktwirtschaft, scheint zunehmend mehr Misstöne
zu erzeugen.
In der Automobilwirtschaft wie auch in der Bekleidungs- und Sportartikelindustrie, in der Stahl- und Kohleproduktion u.s.w. war es gängige Philosophie, Vor-, Zwischen- und Endprodukte über den ganzen Erdball hinweg in globalen Wertschöpfungsketten zu organisieren und dabei Millionen von Container über die Meere hin und her zu schicken und durch die Beschäftigung billiger Arbeitskräfte in Asien, Afrika und Lateinamerika trotz gewaltiger Logistik und langer Transportwege viele Produkte zu verbilligen und gleichzeitig Konzern- aber auch die Profite von international agierenden mittelständischen Unternehmen zu erhöhen.
Globalisierung hat mit der Praxis der Verteilung der Wertschöpfung in grenzüberschreitende Fertigung nicht nur den Handel in immer neue Höhen und die Preise der Produkte in stetig sinkende Größenordnungen getrieben. Die Beziehung von globalem Handel und globaler Produktion hat sich gegenseitig befruchtet, da von den billigeren Produkten immer mehr gekauft wurden die globalen Produktionsketten automatisch weiteren, grenzüberschreitenden Handel generierten, nahmen die Skaleneffekte der industriellen Produktion im Weltmaßstab zu.
Globalisierung besteht also gerade in dem Effekt, dass der globale Handel eine eigene Wirtschaftsdynamik erzeugt. Automobile von GM (General Motors) oder Ford überschritten im Laufe ihrer Produktion mehrmals die Grenze zwischen den USA und Mexiko, die von Daimler, VW und BMW z.B. die zwischen den USA, Mexiko und Deutschland und dabei wächst der globale Handel, selbst wenn die Wertschöpfung innerhalb der gesamten Produktionskette stagniert oder sogar sinkt.
Das also war die Globalisierung, nämlich ein
schnelleres Wachtum des globalen Handels als das der Produktion
selbst. Wie ein ehernes Gesetz der globalen Marktwirtschaft galt,
solange der globale Handel schneller wächst als die Produktion,
der Fortschritt der Globalisierung als gesichert.
Heute gilt
dieser Fortschritt in vielen Bereichen der globalen Wirtschaft als
gebrochen, teilweise sogar als in sein Gegenteil verkehrt. Das Ende
des Laissez-faire scheint bereits eingebrochen, ein globales
Null-Summen-Spiel im weltweiten Handel bzw. eine Rezession
unvermeidlich.
Aber was ist wirklich passiert im globalen Handel und der global verteilten, logistisch vernetzten Produktion? Addidas, der deutsche Sportschuh und Sportbekleidungsproduzent aus dem fränkischen Provinzstädtchen Herzogenaurach, hat schon vor Trumps Amtsantritt damit begonnen, den Prozess der Globalisierung seiner Produktion erneut zu transformieren. Hatte Addidas bereits früh Ende der 80er Jahre begonnen, seine Fertigung komplett in Länder wie China, Vietnam und Indonesien auszulagern, so kehrt die Schuhproduktion neuerdings ins fränkische Ansbach in die dort aufgebaute „Speedfactory“ zurück. Aber weder der Schuh noch diie Produktionsprozesse haben noch etwas vergleichbares mit dem zu tun, was in den 80er Jahren Standard war.
Waren hunderte von Arbeiterinnen und Arbeiten vor
der Globalisierung in Deutschland tätig, so strich man diese
Arbeitsplätze und verlagerte sie nach Asien, wo bis zu 300
Menschen in schlecht bezahlter Handarbeit an der Produktion eines
Sportschuhs beteiligt waren.
Heute werden für die Produktion
der neuen Familie „individualisierter Turnschuhe“ in
Ansbach nur noch ein paar Techniker gebraucht, die sich um die
Hardware und vor allem um die Software der Schuhproduktion kümmern.
Die luftig-leichte, an den einzelnen Kunden angepasste Sohle für
die Sneaker kommt nun aus dem 3D-Drucker und vollautomatische Roboter
schweißen die verschiedenen, maschinell zugeschnittenen Teile
zusammen und integrieren dabei leicht noch ein paar LEDs, die bei
Dunkelheit automatisch an den Schuhseiten bunte Leuchtmittel
aktivieren.
Wir halten fest, im Prozess der Globalisierung sind in Herzogenaurach und in den USA Abeitsplätze verloren gegangen. Eine volkswirtschaftliche Verschiebung des gesellschaftlichen Wohlstands hat nicht stattgefunden, jedenfalls nicht so, wie das in einer Nationalökonomie gesetzmäßig hätte passieren müssen. Zwar sind Einkommen verschoben worden, aber die Grenze zwischen arm und reich hat sich dadurch weder in Deutschland noch den USA verschoben. Die Gewinner der Treter- wie auch der Autoproduzenten sind (auch) durch Wertschöpfung aus menschlicher Arbeit entstanden, nur war die Arbeitskraft ins Ausland ‚gewandert‘.
Nun sehen wir, wie die ‚Arbeitskraft‘ wieder nach Deutschland zurückkommt. Das hat auch damit zu tun, dass mit der Industrialisierung der asiatischen Volkswirtschaften auch deren Löhne und Gehälter steigen, aber das ist nicht das Hauptargument für die Rückkehr der Arbeit, die den einstigen Arbeitsplatzverlust in Deutschland zwar zahlenmäßig bei weitem nicht kompensieren kann, dafür aber weiterhin nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gewinnführend ist. Denn betriebswirtschaftlich rechnet sich die heimische Schuhproduktion, wenn diese hoch automatisiert und hoch-flexibel ist, bis hin zur individualisierten Produktion führt.
Die Einsparung von Transportkosten ist dabei nicht der Hauptfaktor. Der liegt darin, dass die neuen Technologien immer billiger werden und zugleich eine flexible Produktion in großen Städten, möglichst nah beim Kunden ermöglichen. Die Kunden lassen ihre Füße morgens im Laden oder zuhause am PC bzw. unterwegs am Smartphone digital vermessen, geben individuelle Wünsche in Auftrag und holen abends den fertigen Schuh ab, der in Zukunft dann ganz aus dem 3D-Drucker kommt. Und bei Adidas soll es nicht nur bei den Schuhen so sein. Demnächst soll auch Sportbekleidung vollautomatisiert in Deutschland produziert werden.
Wir erkennen hier bereits, dass allein von Globalisierung in der „alten“ Bestimmung der internationalen Handelsbeziehungen zu sprechen, zu kurz gesprungen sein dürfte. Die fränkische „Speedfactory“ ist nur eine Etappe auf dem Weg, auf dem Globalisierung und Digitalisierung bzw. Automatisierung zusammen wachsen. Aber bleiben wir noch ein wenig bei dem Kern des Gedankens, ob eine Deglobalisierung auch ein Anzeichen einer Krise der Marktwirtschaft sein kann. Am Beispiel Addidas sehen wir das nicht.
Was wir sehen ist, dass der globale Verkehr von
Vor-, Zwischen- und Endprodukten bei Addidas zurück geht. Und
dass darin aber durchaus das Leitbild einer hoch profitablen
Produktion, bestehend aus flexiblen, dezentralen und an den
individuellen Kundenwünschen orientierten Produktion einer
post-industriellen globalen Gesellschaft durchaus bestehen bleiben
kann.
Wir befinden uns in einer Transformationsphase, in der auch
hoch-komplexe, anspruchsvolle, technische Produkte nicht mehr aus
einzelnen Bauteilen in logistisch feingliedrigen Produktionsketten
rund um den Globus hergestellt und über weltweite Transportwege
verteilt werden müssen, sondern in einem Stück,
automatisiert, dezentral und an den individuellen Kundenbedarf
angepasst, ganz nah bei den Abnehmern produziert werden können.
Wenn
man nun meint, davon sprechen zu müssen, dass damit ja die
globalen Wertschöpfungsketten in sich zusammenfallen werden und
damit zugleich den Prozess der Deglobalisierung meint, dann hat
dieser Prozess in der Tat bereits begonnen, ist seit etwa 2011 die
Fragmentierung der Produktion, die Verteilung in globale
Wertschöpfungselemente rückläufig und damit zugleich
der Prozess der Industrialisierung mit seiner Fixierung auf
Arbeitskosten und Skaleneffekten aus Massenproduktion in weiten
Bereichen der Wirtschaft zu einem historischen Ende gekommen.
Anmerkungen:
1 Handelsblatt
print: Nr. 194 vom 09.10.2018 Seite 009 / Wirtschaft &
Politik.
Siehe auch:
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/weltwirtschaft-iwf-senkt-wachstumsprognosen-15828422.html
3 Wenn wir hier vom IWF sprechen, dann folgen wir nur den Ausführungen von Ch. Lagarde. Einer ihrer Vizedirektoren hat gleichzeitig mit ihren Veröffentlichungen eine konträre Auffassung vertreten, die sowohl den politischen Zusammenhang außer Acht läßt wie auch allein auf gedlpolitische Maßnahmen zur Krisenabwehr vertraut.
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