Emmanuel Lévinas:
„Könnte es sein, dass die Moral uns zum Narren hält?“
Michael Seibel • Zur Begründung der Ethik bei Emmanuel Lévinas (Last Update: 24.02.2014)
Download: Auszug aus Emmanuel Lévinas 'Totalität und Unendlichkeit'
Wir haben begonnen,
uns mit der Ausgangsfrage von 'Totalität und Unendlichkeit' von
Emmanuel Lévinas zu befassen. Könnte es sein, so
lautet diese Frage, dass die Moral uns zum Narren hält?
In anderen Worten: Könnte es sein, dass Menschen, die jede
Moral, angefangen bei den 10 Geboten, für Unfug halten, die Welt
und unser Leben möglicherweise viel richtiger sehen? Wie können
wir das wissen.
Sofort haben wir es
mit zwei zentralen philosophischen Begriffen zu tun: dem Begriff der
Moral und dem Begriff des Wissens.
Jeder von uns glaubt, irgendwie und sogar recht gut zu wissen, was Moral
ist und hat sicher auch eine Vorstellung davon, was Wissen ist. Aber
es gibt, so Lévinas, zumindest eine Grundsituation, in der sich niemand mehr sicher sein kann, was Moral
ist, und das ist der Krieg.
Der
Kriegszustand setzt die Moral außer Kraft
er nimmt den Institutionen und ewigen Pflichten ihre Ewigkeit
und vernichtet daher mit seiner Vorläufigkeit die unbedingten
Imperative. (...) Er macht die Moral lächerlich.“
Wir haben damit bisher lediglich die Ausgangsfrage von Lévinas
herausgearbeitet, und noch in keiner Weise darüber gesprochen,
wie er sie zu lösen gedenkt und ob ihm eine Lösung
überhaupt gelingt. Aber ich glaube, wir haben damit keinen
schlechten Startpunkt, um uns zumindest für den Einstieg
deutlich zu machen, was philosophische Gedanken von anderen Typen der
Rede unterscheidet.
Was macht Lévinas eigentlich hier formal?
Er nimmt einen wohlbekannten Begriff, den Begriff Moral
und behauptet, dass wir ihn nicht wirklich verstehen.
Er
gibt ein Maß für sein Urteil an. Gemessen am Faktum des
Krieges lässt sich erkennen, dass es durchaus nicht fraglos
klar ist, was Moral
meint.
Die
Fragerichtung von Philosophie ist sehr oft diese Richtung hinter die
Dinge zurück und gerade nicht wie Technik, Politik und
Arbeitswelt geradeaus nach vorn. Der Begriff dafür ist der
Begriff der Reflexion.
Der Philosophie ist Reflexion wesentlich. (Die Begriffe der
Philosophie sind allesamt Titel von Problemen.) Schritt 1 wird dabei
allerdings kaum sinnvoll allein vorkommen können. Würde
jemand einfach nur sagen: Ihr versteht das Wort Moral nicht, so
könnte man ihn leicht dadurch widerlegen, dass man das Wort
Moral in einem Satz sinnvoll verwendet. Es bedarf also vermutlich
immer des Schrittes 2, eines sehr guten Grundes, warum es
erforderlich sein könnte, einen Begriff zu reflektieren. Wenn
der Schritt 2 fehlt oder nicht überzeugt, wird jeder mit Recht
sagen können, lass mich mit der Philosophie in Ruhe, die zu viel
Worte um nichts macht, lass uns lieber Praxis machen, Politik,
Berufsarbeit oder lass uns einfach unterhalten.
Ich denke, das ist beim letzten Mal sehr deutlich geworden.
Ich denke, wir haben folgende Resultate erreicht:
Wir haben Lévinas Eingangsfrage durch die Diskussion in
ziemlicher Schärfe kennengelernt und wir haben einen
grundsätzlichen Eindruck der Fragerichtung von Philosophie
erhalten.
Was noch?
Den Begriff der Moral einmal in Frage gestellt, haben wir uns
natürlich selbst auch die Frage vorgelegt, was wir denn unter
Moral verstehen und sind dabei sofort auf weitere Begriffe und
Probleme gestoßen: den Begriff der Gerechtigkeit und den des
Egoismus.
In diesem Teil unseres Gesprächs sind wir ansatzweise
'sokratisch' vorgegangen, d.h. Wir sind nicht einem Text gefolgt,
sondern haben uns lediglich dadurch inspirieren lassen, unseren
eigenen Gedankengängen zu folgen und sie auf die Probe zu
stellen. Ich denke, das könnte neben der Lektüre ein
zweites Standbein unserer Gespräche sein, das ausbaufähig
ist.
Wir haben auch sogleich bemerkt, dass diese neuen Begriffe nicht nur
in der Philosophie ihren Ort haben, sondern genauso in Soziologie und
Psychologie, und dass sie uns vielleicht sogar aus psychologischen
Kontexten geläufiger und zugänglichen sind als aus
philosophischen.
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